Der russische Friedensnobelpreisträger und ehemalige sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow ist nach Angaben russischer Agenturen tot. Wie TASS und Interfax am späten Dienstagabend aus Moskau meldeten, starb Gorbatschow im Alter von 91 Jahren. Der weltweit geschätzte Politiker galt als einer der Väter der Deutschen Einheit und als Wegbereiter für das Ende des Kalten Krieges. Er wird in Moskau neben seiner Frau Raissa auf dem Neujungfrauenfriedhof für Prominente beerdigt.

Nach dem Tod haben zahlreiche internationale Politiker ihr Beileid ausgedrückt und ihn ausführlich gewürdigt. Der russische Präsident Wladimir Putin hat nach Angaben eines Sprechers sein tiefes Mitgefühl zum Tod von Michail Gorbatschow geäußert. Putin werde der Familie am Mittwochmorgen ein Telegramm schicken, kündigte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstagabend in Moskau an.

"Michail Gorbatschow prägte wie kein anderer die Annäherung zwischen Osten und Westen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa und dem Ende des Kalten Krieges. Möge er in Frieden ruhen", twitterte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in einer ersten Reaktion am Dienstagabend.

"Tragisch bleibt, dass die Anerkennung, die er im Westen genoss, ihm in seiner Heimat nie zuteilwurde", twitterte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) in einer ersten Reaktion.

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hat die Leistungen des verstorbenen ehemaligen sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow für eine friedliche Neuordnung Europas in den vergangenen 30 Jahren gewürdigt. Gorbatschow sei "ein großer Staatsmann" gewesen, sagte Schallenberg am Mittwoch im Ö1-Morgenjournal. "Er hat die Zeichen der Zeit erkannt."

Ende des atomaren Wettrüstens

US-Präsident Joe Biden würdigte Gorbatschow als einen "Mann mit einer bemerkenswerten Vision". Er habe sich in der Sowjetunion nach Jahrzehnten brutaler politischer Unterdrückung für demokratische Reformen eingesetzt, erklärte Biden am Dienstag (Ortszeit). "Dies waren die Taten einer außerordentlichen Führungspersönlichkeit – einer, die die Vorstellungskraft besaß, eine andere Zukunft für möglich zu halten, und den Mut hatte, ihre gesamte Karriere zu riskieren, um dies zu erreichen. Das Ergebnis war eine sicherere Welt und größere Freiheit für Millionen von Menschen."

Biden erklärte weiter, Gorbatschow habe an Glasnost und Perestroika geglaubt – nicht als bloße Schlagworte, sondern als den Weg nach vorne für die Menschen in der Sowjetunion nach so vielen Jahren der Isolation und Entbehrung. "Als Führer der UdSSR arbeitete er mit (US-)Präsident (Ronald) Reagan zusammen, um die Atomwaffenarsenale unserer beiden Länder zu reduzieren, zur Erleichterung der Menschen weltweit, die für ein Ende des atomaren Wettrüstens beteten."

Großer Reformer

Besonders die Ostdeutschen verehren "Gorbi", wie sie ihn nennen, bis heute als Staatsmann, der ihnen vor mehr als drei Jahrzehnten die Freiheit brachte. In den 1980er-Jahren hatte die Sowjetunion unter Gorbatschows Führung mit den USA wegweisende Verträge zur atomaren Abrüstung und Rüstungskontrolle geschlossen. In seiner Heimat hatte Gorbatschow als Generalsekretär der Kommunistischen Partei mit seiner Politik von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) einen beispiellosen Reformprozess eingeleitet. Das brachte den Menschen in dem totalitären System bis dahin nie da gewesene Freiheiten.

Auch EU-Präsidentin Ursula von der Leyen drückte ihr Bedauern ob des Ablebens von Gorbatschow aus:

Friedensnobelpreis für mutige Reformen

1990 erhielt Gorbatschow für seine mutigen Reformen den Friedensnobelpreis. Der politische Prozess führte zu massiven Umbrüchen in allen Republiken des Sowjetstaates und letztlich zu einem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums.

Ein Großteil der russischen Bevölkerung sah den früheren Partei- und Staatschef stets als Totengräber der Sowjetunion – und als einen Politiker ohne Machtinstinkt. Gorbatschow trat als Präsident der Sowjetunion 1991 zurück, bevor sich der Staat wenig später selbst auflöste. Der neue starke Mann in Moskau wurde damals der russische Präsident Boris Jelzin (1931–2007).

Autor zahlreicher Bücher

Bis zu seinem Tod hatte Gorbatschow sich um seine eigene politische Stiftung in Moskau verdient gemacht. Die Organisation setzt sich für demokratische Werte und eine Annäherung Russlands an den Westen ein.

Gorbatschow schrieb zahlreiche Bücher – zuletzt unter anderem auch über seine Enttäuschung von den Deutschen und dem Westen. Konkret beklagte er dabei, dass neue Feindbilder gegen Russland gezeichnet würden. Zu den Feiern zum 30. Jahrestag des Mauerfalls im Herbst 2019 war er aus Gesundheitsgründen nicht gereist. Er musste in den vergangenen Jahren immer wieder im Krankenhaus behandelt werden.

Der Politiker war Miteigentümer der kremlkritischen Zeitung "Nowaja Gaseta", die immer wieder Missstände in Russland aufdeckt. Gorbatschow hatte in den vergangenen Jahren Kremlchef Wladimir Putin mehrfach aufgefordert, die Freiheit der Medien und Wahlen nicht weiter einzuschränken.