Bis 2023 eine Milliarde Euro mehr für die Patientinnen und Patienten durch die Reform des Sozialversicherungssystems – das versprach die türkis-blaue Bundesregierung 2019. Keine Spur davon, urteilt der Rechnungshof. Die Fusion der neun Gebietskrankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) und weitere Verschmelzungen brachten bislang vielmehr Mehrkosten in Höhe von 215 Millionen Euro. Für Andreas Huss, seit 1. Juli turnusmäßig Obmann der ÖGK, kommt dieser RH-Bericht nicht überraschend, wie er im Gespräch mit der Kleinen Zeitung sagt. "Das war immer ein Marketinggag mit dieser Patientenmilliarde", lässt der Gewerkschafter und Dienstnehmervertreter kein gutes Haar an den für die Sozialversicherungsreform politisch Verantwortlichen von ÖVP und FPÖ.

Die Vereinheitlichung von Buchhaltung, Personalsystemen oder IT-Systemen werde erst "in fünf, sechs Jahren zu Synergieeffekten führen", sagt Huss, der zur Jahresmitte von Dienstgebervertreter Matthias Krenn wieder die Obmannschaft übernahm. "In der Gesundheitsversorgung, bei den Leistungen, wird man nicht viel Geld sparen. Medizin bleibt nicht stehen. Wir wollen den Patientinnen und Patienten modernste Therapieformen zur Verfügung stellen." Man habe eine Verantwortung für 7,4 Millionen Versicherte.

Kassenärzte "kein Auslaufmodell"

Huss rechnet mit einer zusätzlichen Lücke von 111 Millionen Euro jährlich. Ein Grund sei unter anderem die verringerten Rückzahlungen der AUVA an die ÖGK. Die große Herausforderung für die kommenden Monate sieht Huss in einem "österreichweit einheitlichen Leistungskatalog für ärztliche Leistungen". Bei Psychotherapie und Physiotherapie sei das schon gelungen, der "große Brocken" warte aber noch. "Es kann nicht sein, dass zum Beispiel ein Ultraschall oder ein Herz-CT in einem Bundesland bezahlt wird und in einem anderen nicht", sagt Huss. In weiterer Folge müsse man dann auch über einheitliche Honorare verhandeln.

Kassenärzte seien "mit Sicherheit kein Auslaufmodell", betont Huss. Aber man müsse das System neu denken und flexibler machen. "Wir haben um die 8000 Kassenärzte, die Vollzeit arbeiten und versorgungswirksam sind." Diese rechnen im Schnitt "300.000 bis 350.000 Euro pro Jahr" mit der ÖGK ab. Von den rund 10.000 Wahlärzten in Österreich hält er nur "genau 889 für versorgungswirksam". Das seien jene, "die mehr als 50.000 Euro im Jahr mit der Krankenkasse abrechnen". Auf diese wolle man mit Unterstützung der Ärztekammer aktiv zugehen und sie bitten, ins Kassensystem zu kommen. Bedarf gäbe es vor allem in den Fächern Gynäkologie, Kinderärzte, Interne Medizin und Hautärzte. Versorgungslücken habe man auch in der psychosozialen Betreuung.

"Korruption" bei Wahlärzten

Kritik übt Huss an Spitalsärzten, die auch eine Wahlarztpraxis haben. "Da geht der Patient hin, bezahlt ein Privathonorar und der Arzt reiht ihn dann am nächsten Tag im Spital auf der Operationsliste vor. Das passiert, das ist Korruption und gehört abgestellt." Der ÖGK-Obmann fordert "transparente Wartelisten in den Spitälern, wo man mit Codierungen arbeitet, die nur der Patient selbst kennt und wo man sehen kann, ob jemand vorgereiht wurde". Gesundheitsminister Johannes Rauch sei hier gefordert, ein entsprechendes System aufbauen zu lassen.

Insgesamt biete man Ärztinnen und Ärzten bereits "23 mögliche Formen der Zusammenarbeit" mit der ÖGK an. "Das geht von Einzelpraxen über Gruppenpraxen, Teilgruppenpraxen, Jobsharing, Anstellung von Ärzten bei Ärzten, die Teilung einer Kassenstelle bis hin zu Primärversorgungszentren", sagt Huss. Auf diese flexiblen Möglichkeiten wolle man verstärkt hinweisen.