Der in den letzten Tagen intensiver gewordene Zwist zwischen der Bundesregierung und der Stadt Wien hat am Montag neues Zahlenfutter erhalten. Laut einer Analyse der Wiener MA 23 – zuständig für Wirtschaft, Arbeit und Statistik – sind seit seit der Ausbreitung des Coronavirus nicht mehr Personen in der Bundeshauptstadt gestorben als üblich. 

“Wir haben keine Übersterblichkeit in Wien”, sagt MA23-Chef Klemens Himpele zur APA und kontert damit jüngste Aussagen der Bundesregierung über die Entwicklung der Krankheit in Wien. “Die Zahlen in Wien geben uns nun bereits seit einiger Zeit Grund zur Sorge”, erklärte Innenminister Karl Nehammer zuletzt und bezog sich dabei auf die österreichweiten Zahlen an Neuinfektionen.

Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker reagierte darauf hörbar verärgert. “Der macht sich Nüsse Sorgen um Wien. Wenn er seine Statistik ordentlich lesen würde, dann würde er sehen, dass im Vergleich der Landeshauptstädte Wien an drittletzter Stelle ist, was die Zahl der Infizierten insgesamt anlangt”, so Hacker im Rahmen einer Pressekonferenz am Freitag. 

Übersterblichkeit "eine der wichtigsten Kennzahlen"

Überhaupt ortete Hacker einen “unseriösen” Umgang der Bundesregierung mit Zahlen. So würde die tägliche Betrachtung von Testergebnissen nur aussagen, wie fleißig Labors ihre Daten in das EDV-System spielen. “Das ist der Fehler in der Dashboard-Philosophie des Bundes”, so Hacker. Dass das Bundeskanzleramt bzw. dessen Future Operations Clearing Board Zahlen absichtlich Wien-kritisch interpretiert, vermutet ein Mitglied des Boards. Dessen Leiterin Antonella Mei-Pochtler “sei beispielsweise besonders interessiert an Zahlen für Wien im Vergleich zu anderen Bundesländern – damit man die Hauptstadt dann schlecht darstellen könne”, berichtet “Der Standard”.

Mit der am Montag veröffentlichten Analyse versucht die Stadt Wien nun einen weiteren Gegenbeweis zu den angeblichen Sorgen aus dem Bund zu liefern. Für MA23-Chef Himpele ist die Frage der Übersterblichkeit in der Nachschau eine der wichtigsten Kennzahlen, "weil man daran erkennen kann, ob etwas übersehen wurde" - also nicht diagnostizierte Covid-19-Fälle, die erst verzögert in der Sterbestatistik sichtbar werden, aber auch "Kollateralschäden" beispielsweise durch die wochenlange Drosselung des Spitalbetriebs.

© Stadt Wien

"Man kann sagen, dass das in Wien definitiv nicht der Fall ist", so der Wiens oberster Statistiker: "Die Daten zeigen, dass Wien sehr gut bisher durch die Krise gekommen ist." Um dies beurteilen zu können, haben Himpele und sein Team eine Übersterblichkeitsanalyse gemacht, "die sauber ist", wie der Chef das nennt. Denn einfach nur absolute Kalenderwochenwerte von einzelnen Jahre zu vergleichen, bringe aufgrund der vielen potenziellen Ausreißer recht wenig, so die Erklärung.

Als Basis für die Interpretation ungewöhnlicher Sterblichkeit dienen der MA 23 sogenannte Prognoseintervalle. Sie fußen auf der Annahme, dass in Wien die Kurve der Sterbefälle von Jahr zu Jahr immer in etwa gleich verläuft. Dadurch lässt sich für jede Woche des Jahres eine bestimmte Bandbreite an erwartbaren Todesfällen errechnen, wobei hier schon saisonale Schwankungen mitberücksichtigt werden - also etwa der Umstand, dass in der winterlichen Grippezeit stets mehr Menschen sterben als im Sommer.

Neuer Mortalitätsmonitor online abrufbar

Liegt nun die Zahl der tatsächlichen Sterbefälle in Wien in bestimmten Phasen (deutlich) über dem Maximalwert dieses Prognosebands, wird von Übersterblichkeit gesprochen. Rückblickend habe es das bei den Null- bis 64-Jährigen in den vergangenen fünf Jahren (2015-2019) gar nicht gegeben, so Himpele. Bei der höheren Altersschicht (65-Plus) komme das aber immer wieder vor.

Die MA 23 hat für das laufende Jahr ebenfalls bereits ein Prognoseband erstellt. "Wir haben die Sterbedaten der Jahre 2015 bis 2019 genommen und kalibriert", berichtete Himpele. Denn: Die Erwartungsbandbreite kann nicht einfach von Jahr zu Jahr fortgeschrieben werden, weil sich die Bevölkerungsstruktur - z. B. die Altersverteilung - jährlich ändert und damit Einfluss auf die anzunehmenden Todesfälle hat.

Bis inklusive zur Kalenderwoche 17 konnten nun bereits die tatsächlichen Sterbefälle in Wien in das jeweilige wöchentliche Spektrum - die Grafik ist ab sofort auf einem Mortalitätsmonitor online abrufbar - eingetragen werden. Und die Werte lagen stets innerhalb der Erwartungen. Daran änderte auch das Coronavirus nichts. Zur Einordnung: Der erste Covid-19-bedingte Todesfall in Wien wurde am 12. März gemeldet - also in Kalenderwoche 11.

Seither lagen die Zahlen bei den Über-65-Jährigen zwar in der 13., 15. und 16. Woche in der Nähe des jeweiligen Maximalwerts, zuletzt aber sogar wieder im niedrigeren Bereich: Zwischen 20. und 26. April verstarben 238 Personen im Alter von über 65 Jahren. Die MA 23 ging von 214 bis 296 Todesfällen aus. Bei den Unter-65-Jährigen waren es 53 Verstorbene bei einem erwarteten Wert zwischen 39 und 77.