Was macht dieser Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter im Europäischen Parlament, dem Sie vorstehen?
Wozu braucht man im Jahr 2020 eigentlich noch einen solchen Ausschuss? Das klingt irgendwie fast retro. Ist die Gleichstellung von Mann und Frau nicht ohnehin schon Alltag? Die Antwort ist natürlich: Nein. Wir werden noch über 100 Jahre brauchen, in allen Lebensbereichen Gleichstellung herzustellen. Diese Veränderungen voranzutreiben, das ist eine Aufgabe dieses Ausschusses.
Das machen wir mit Gesetzgebung, mit der wir europäische Standards schaffen. Wir kümmern uns etwa darum, dass der Gender Pay Gap verringert bzw. aufgelöst wird. Es gibt zu viele Dinge, die nicht funktionieren. Das ist nicht gut für junge Frauen, für ältere Frauen, es ist aber auch nicht gut für Männer. Viele Männer wollen nicht mehr die sein, die 60 Stunden arbeiten gehen während die Frauen bei den Kindern sind.

Welche Standards meinen Sie konkret? Wo kann die Gesetzgebung diese Rahmenbedingungen vorgeben?
Zum Beispiel in ökonomischer Hinsicht. Das Wichtigste für eine Frau ist, dass sie finanziell unabhängig ist. Dass sie eine Ausbildung, einen Job hat, den sie auch ausüben kann und es nicht immer sie ist, die die Kinder abholen muss. Das ist die Voraussetzung, dass sie dem Mann etwas entgegensetzen kann, wenn er sie schlägt oder psychisch unter Druck setzt. In diesem Fall kann sie gehen, weil sie unabhängig ist.

Häusliche Gewalt liegt begründet in den traditionellen bzw. veralteten Geschlechterrollen. Österreich gehört hier zu den europäischen Spitzenreitern. Wie lassen sich diese Stereotype verändern?
Mit ganz konkreter Gesetzgebung. Kommissarin Helena Dalli legte diese Woche eine Gleichstellungsstrategie vor. Bei konkreten Maßnahmen kann man Spanien als Vorbild hernehmen. So wurden etwa Morde an Frauen als eigener Straftatbestand eingeführt. Das hilft Brennpunkte zu erkennen um gegensteuern zu können. Notrufnummern, die nicht nur als solche existieren, sondern die sofort agieren. Wenn sich eine Frau in Spanien an eine bestimmte Stelle wendet, müssen innerhalb von 48 Stunden ganz konkrete Maßnahmen der Behörden gesetzt werden. Oder Frankreich überlegt, die Schweigepflicht von Ärzten aufzuheben, wenn der Verdacht häuslicher Gewalt besteht.

Das ist eine Maßnahme, die im krassen Gegenteil zum Gewaltschutzpaket steht, dass die türkis-blaue Regierung 2019 beschlossen hat.
Mein Zugang ist hier ein europäischer. Was ist in Spanien schlimmes passiert, und was haben sie gemacht, um die Situation zum Besseren zu verändern? Diese Best-Practice-Beispiele können als Grundlage für Gesetzesvorschläge dienen. Und da sehen wir, dass das, was in Österreich in den letzten zwei, drei Jahren passiert ist, rückwärts gewandt ist und den Frauen nicht nur nicht hilft, sondern kontraproduktiv ist. Eine Frauennotrufnummer einzuführen ist gut. Aber es hat nur einen Sinn, wenn dies durch weitere Maßnahmen ergänzt wird.

Die EU-Strategie zur Gleichstellung der Geschlechter -- in welchem Zeitraum wird diese umgesetzt?
Diese Woche hat die Kommissarin diese Strategie vorgelegt. Das ist wie ein Regierungsprogramm zu verstehen. Die einzelnen Maßnahmen werden dann Stück für Stück im Laufe der Legislaturperiode umgesetzt. Der erste Themenschwerpunkt wird der Gender Pay Gap sein. Die Punkte bezüglich der Gewaltschutzstrategie werden dann im nächsten Jahr auf der Agenda stehen. Frauenpolitik hat immer damit zu tun, Stereotype zu bekämpfen. Das kann über Kampagnen wie jene der Wiener Linien gegen Manspreaden passieren. Es geht darum, Diskussionen anzustoßen und Bewusstsein zu schaffen. Da müssen wir auch auf europäischer Ebene Anstöße geben.

Zu diesem Kampagnenthema passt auch die Initiative für eine Senkung bzw. Abschaffung des erhöhten Steuersatzes auf Damenhygieneprodukte. Oft wird die Forderung danach abgetan mit einem „ach, diese paar Euro im Monat“. Was entgegnen Sie in so einem Fall?
Es geht immer darum, darzustellen was den Unterschied macht: Frau zu sein oder Mann zu sein. Jede Frau läuft durchs Leben mit einem Rucksack – manchmal schwerer, manchmal leichter. Wenn wir als Politiker mithelfen, ein paar Dinge aus dem Rucksack zu entfernen, dann macht das das Leben leichter. Da sind die Damenhygieneprodukte ein Teil davon. Es gibt sehr viele Dienstleistungen und Güter, für die Frauen mehr zahlen. Aber was kann ich dafür, dass ich eine Frau bin. Ich bin ein Mensch.

Was muss passiert sein, damit der Frauentag einmal obsolet ist?
Wenn ich Topjobs anschaue: Halbe-Halbe. In der Politik, vor allem auf kommunaler Ebene: Halbe-halbe. Karenz: Halbe-halbe. In der Gesundheitsversorgung: Anerkennung der weiblichen und männlichen Unterschiede bei Krankheitssymptomen etwa. Es erfordert, dass Frauen in allen Bereichen des Lebens, der Gesellschaft gleichermaßen wie Männer beteiligt sind. Das kommt aber nicht automatisch. Frauen, die im Berufsleben bestehen wollen, müssen sich an die männlichen Strukturen anpassen, damit sie weiterkommen. Erst dann, wenn sie drinnen sind, können sie die Rahmenbedingungen verändern.

Seit dieser Woche läuft die Mitgliederbefragung in der SPÖ. Wieso tut sich die SPÖ mit ihrer ersten weiblichen Vorsitzenden so schwer und kann kein Kapital daraus schlagen?
Ich finde es großartig, dass wir die erste weibliche Vorsitzende haben, die auch aus kleinen Verhältnissen gekommen und sich hinaufgearbeitet hat. Es tut der SPÖ schon sehr gut, wenn weibliche wie männliche Funktionäre lernen, miteinander gut umzugehen. Aber unsere Strukturen brauchen einen Modernisierungsschub. Ich wünsche mir viel mehr offene Gespräche miteinander, das hat Pamela Rendi-Wagner versucht auf den Weg zu bringen.

Was kann man als Frau jeden Tag tun, um die Position von Frauen zu stärken?
Frech sein, nicht den Mund halten. Nicht bescheiden sein, sich den Raum nehmen. Nichts gefallen lassen und dagegen halten.