Die Bevölkerung bereitet schon das Terrain auf für die Zeit, wenn sie ihre Macht wiederherstellen, den neuen Umständen anpassen wird, haben sich doch in der Zwischenzeit Möglichkeiten entwickelt, neue und andere aufgetan. Gestern hingen die Kinder am Fenster und beobachteten den Nachbarn, der das Vieh auf den Markt trieb. Kurz nachdem die Dörfer durchsiebt und entleert worden waren, sahen die Kinder Gendarmen, die Nachbarn zum Verhör vorbeitrieben. Nicht anders war das Gedränge, ob Vieh oder Menschen auf den Markt getrieben wurden. Die Herrschaft von gestern auf heute ist nicht nach dem Gemüt der Bevölkerung, sie ist ein Garant des Friedens, verbunden mit Stockungen und Achselzucken. Die Bevölkerung sehnt sich wieder nach der Herrschaft von heute auf gestern, die zum Unglück beseitigt wurde, jedoch nicht überholt ist, nur vorübergehend an den Rand gedrängt. Die Dorfkinder würden gern wieder Polizisten sehen, die Kameraden vorbeitreiben, mit denen sie gestern noch gespielt haben.

Es zeigte sich: Je länger die alte Herrschaft tot ist, umso lebendiger ist sie. Die Bevölkerung, deren Besonderheit darin besteht, dass sie sich nach Bedarf krümmt und verbiegt, die Schwachen unterwirft und sich vor den Starken verbeugt, diese Bevölkerung nimmt die einstigen Parolen wieder auf und verkündet die alten Grundsätze.
Die Gemeinschaft des Einstigen verklumpt sich zur Gemeinschaft der Einstigen.
Sie ist im Begriff, sich an die vergangene Epoche anzubinden und sie in dem einen oder anderen noch zu übertreffen, die Schläuche mit Ähnlichem und Gleichem anzufüllen, die eine oder andere Schraube noch um eine Drehung anzuziehen. Es juckt sie wieder in den Fingern, sie erneuert das unterbewusst schwelende Heimweh nach den Ereignissen aus der Vorzeit, den noch frisch in allen Erinnerungen aufbewahrten, um sich daran zu ergötzen.

Das Volk ist jenes Gebilde und jene Sache, die entstehen, wenn man mit der Volksweisheit am Ende ist, wenn es nur noch durchschnittliche, uniforme und eingeebnete, glatte Köpfe gibt. Das Volk sind Gesichter, die austauschbar sind, die Summe aller Gesichter. Das Volk richtet sich nach dem Volk, das Volk bedient das Volk, seine Weisheit ist glattgehobelt, die Leitungsfähigkeiten sind gleichgesetzt und zersplittert, jeder ist gehorsames, gefügiges Volk und seine Herrschaft in einem, jeder ist untertan und frei zugleich, jeder ordnet sich unter und widersetzt sich der Unterordnung. Alle Fähigkeiten der Vernunft haben sich vereinheitlicht und zu einem Verstand zusammengefasst. Fortlaufend erfüllen sie sich, wonach es ihnen in ihrer Launenhaftigkeit gelüstet. Wer wird sich selbst widersprechen, sich Knüppel zwischen die Beine werfen, wer wird sich selbst ausspielen?

Niemand braucht mehr für jemanden Vorbild zu sein, niemand jemanden als Vorbild zu nehmen. Alle Tätigkeiten reihen sich gleichwertig auf der Zeitachse aneinander, jede Entscheidung ist zugleich jedwedens und niemandes Entscheidung. Einst ist dem Volk eine Person unverwechselbaren Gesichts vorausgegangen und die Menschen lüfteten den Hut, und wenn sie sich umwandte, blieben sie höflich stehen und blickten ihr entwaffnet in die Augen. Im Volk schauen einander alle auf den Rücken, das Gesicht des Volkes sieht man nicht, das Gesicht des Volkes spürt man im Rücken. Jeder ist Erster unter Gleichen und gleich unter den Ersten, jeder ist ein Jeglicher und nur soviel Erster, wieviel er nicht Letzter ist.

Das einst wissbegierige Volk bildet keine Gesichtszüge mehr aus, gestaltet sein Gesicht nicht, prägt ihm keine wiedererkennbaren Züge auf, bildet nicht mehr seine Lebenskonzepte aus, weder den Willen noch den Verstand noch die Gefühle noch den Charakter heran, sondern sammelt wieder, ähnlich dem Urmenschen, und trägt zusammen und sammelt ein, häuft listig Gebrösel von Nützlichem, sammelt Kleinzeug an Verwendbarem. Es möchte wissen, möchte unterrichtet und über alles informiert sein, über alles von der Straße, dörflich informiert, täglich auf dem Laufenden mit dem Geschehen. Jeder weiß von allem alles. Stopft sich mit persönlichem, auf sein eigenes Tun zugeschnittenem Kleinkram voll, mit oberflächlichen und äußerlichen Dingen, der unmittelbaren Befriedigung alltäglicher und täglicher Angelegenheiten gewidmet, leer bis zur Banalität. Es lebe die Lethargie, die Lethargie möge leben! Der Geist weht nicht mehr, sondern kriecht nur noch und streicht auf dem Boden umher. Einst haben Dichter und Schriftsteller die Sprache aus dem Mund des Volkes gelernt, sie haben dem Volk aufs Maul geschaut, heute wenden sie sich vom Volk ab und weichen ihm aus, im tiefsten Grund ekelt es sie vor ihm: Heute pflegt das Volk eine Sprache, die selbst von der Hand in den Mund lebt und niemanden mehr einnimmt, keinen mehr reizt. Der Geist wehrt sich, dieses unbeholfene Gebilde auf seinen Schoß zu nehmen. Man zuckt mit den Schultern und entfernt sich gelangweilt.

Das Volk hat die kleinen Einheiten aufgelöst, sie in größere und große eingearbeitet, alles vereinheitlicht und eingeebnet, ins Weite und Breite verlegt, alles in ein einziges großes Loch gefegt, in dem es jetzt sein neuzeitliches Mischmasch panscht und siedet. Einzig die materiellen Werte zählen, die Gesetzbücher haben sich abgenützt und entblättert, das Sammelwerk der einst gültigen Haltungen ist entwertet. Die Bücherverbrennung wurde auf neue Grundlagen gestellt, die Verbrennung der Hexenmeister und Hexen von den Scheiterhaufen in die Zeitungen verlegt. Es gibt keinen Guru, der einen Menschen geistig beschlagen würde, und keinen Geist im Dorf, der sich beschlagen ließe.

Die Volksherrschaft ist eine zu dünne Schicht, um die Verderbtheit, die sich darunter verbirgt, zuzudecken. Sie wird nicht mehr versteckt, vor aller Augen trägt man sie herum und winkt mit ihr im Wind. Immer vorbereitet, lauert sie auf Gelegenheit, immer ist sie auf dem Sprung. Früher war man sich der Schmählichkeit dieses oder jenes Tuns bewusst, man schämte sich, man erschauderte schon beim Gedanken, heute kennt man keine Scham mehr. In ihren Anschauungen ist die Volksherrschaft entzweit, dazwischen gibt es keine Einigkeit, nur der gemeinsame Feind eint sie. Über alles ist man informiert, aber man weiß nichts von nichts. Man erfreut sich nicht an dem Wenigen, das man, selten, aber doch, für das gemeinsame Erbe des Dorfes erwirbt. Man freut sich über jeden Verlust an Geist; mit dem Verlust an Geist schließt man sich der Gegenwart an. Die sprachlich Heimatlosen drängen das Zuhause jenen auf, die es bereits haben. Sie fügen dem geistigen Erbe nichts hinzu, sondern beziehen aus ihm, was ihnen zusagt, bedienen sich seiner, wenn es ihnen nützt. Nicht die Verarmung des Erbes ist ihnen ein Dorn im Auge, die Vermehrung des geistigen Erbes stört sie.