Medizin heilt Menschen: Sie therapiert und repariert. Die Logik dabei ist: Der gesunde Mensch verfügt über eine Art von „Normalkörper“. Krankheit ist eine negative Abweichung von der Normalität, und diese Normalität ist durch Therapien verschiedenster Art wiederherzustellen. Zunehmend tut die Medizin jedoch mehr: Sie verbessert den Menschen. Man geht aus vom Normalzustand, aber dieser genügt nicht. Menschliche Körper sind nicht nur hinfällige biologische Objekte, sie werden auch als in ihren Fähigkeiten unzureichend betrachtet. Durch medizintechnischen und elektronischen Fortschritt lassen sich nun immer mehr Geräte „einbauen“, welche die physischen, psychischen und intellektuellen Leistungen verbessern sollen. Der Mensch wird aufgerüstet.

Wir konzentrieren uns auf die technisch-digitalen „Einbaumöglichkeiten“ (auf das „Upgrading“ des Körpers, auf das „Human Enhancement“) sowie die alltagspragmatischen wie anthropologischen Folgen. Wir haben ohnehin bereits zahlreiche Geräte zur Kompensation unserer Schwächen zur Verfügung: Wir sehen schlecht, also brauchen wir Brillen, Mikroskope und Teleskope. Wir sind zu langsam, deshalb nutzen wir Autos. Unser Gehirn hat Grenzen, deshalb nutzen wir Computer. Das sind Geräte außerhalb des Körpers, aber in den nächsten Jahrzehnten werden viele dieser Geräte in den Körper hineinwandern. Beim Herzschrittmacher ist das bereits selbstverständlich, bei den Hörgeräten beginnt es. Viele dieser Dinge sind unproblematisch: Die „Identität“ oder das „Wesen“ eines Menschen ändert sich nicht durch Zahnkronen oder künstliche Hüftgelenke.

Die Frage ist jene nach den Grenzen: In der Endausbaustufe könnte man schon heute an die 70 Prozent des Körpers durch haltbares und leistungsfähigeres Material ersetzen (und „Optimisten“ fügen hinzu: An den restlichen 30 Prozent wird gearbeitet). Da bleibt vielleicht kaum mehr übrig als ein Kopf, der auf den Roboterkörper gesetzt wird (wenn erst die entsprechenden Nervenverbindungen funktionieren) – aber da wird sich wohl die Frage nach dem eigenen Selbst stellen. Bin das noch „ich“? Manche spekulieren damit, dass sich in wenigen Jahrzehnten selbst das Bewusstsein (der „Gehirninhalt“) auf eine Festplatte hochladen lassen könnte – wohl eine Übertreibung. Aber es ist eine Frage der Dosierung: Irgendwann muss man die jährliche Vorsorgeuntersuchung durch eine Art von Pickerlkontrolle ergänzen.

Schneller wird es wohl mit der Selbstüberwachung gehen: self-tracking, um das Leben im Griff zu haben. Fitnessuhren sind schon üblich, Schrittzähler, Schlafüberwachung. Das digitale Tagebuch wird sich verbreiten: automatische Aufzeichnung von Ortsveränderungen, Restaurants, Gesprächen, Wartezeiten. Redundanz ausbügeln. Benchmarking. Derzeit übertragen wir diverse Ausweise, Kreditkarten, Firmen- und Bibliothekskarten, E-Card, Eintrittskarten, Fahrkarten und vieles andere auf das Smartphone, bald kommt das alles auf einen Chip, der in den Unterarm montiert wird. Sehr bequem, kann nicht verloren gehen, ist immer bei der Hand. Das Ding unter der Haut könnte auch noch Cholesterin, Blutzucker und Blutdruck kontrollieren; es macht im Bedarfsfall piep, piep und ist mit dem kontrollierenden Weltcomputer verbunden. Dieser schaut dem großen Bruder ziemlich ähnlich. Die Menschen werden das lieben. Sie werden nach einiger Zeit glauben, dass sie sterben müssen, wenn ihr Körper ein paar Stunden nicht online ist. Damit wird viel mehr Datensammlung möglich. Rabatt bei der Haftpflicht für Autofahrer, die ihre Fahrweise elektronisch dauernd kontrollieren lassen. Wer sportliche Betätigung nachweisen kann, wird bei der Krankenkasse besser behandelt. Irgendwann sind wir beim chinesischen Modell: ein Gesamtindikator, bestehend aus hundert Einzeldaten, der „staatsbürgerliche Menschenqualität“ repräsentiert. Alles im Dienste der Gerechtigkeit: Warum sollen jene, die sich anständig verhalten, für die anderen zahlen, die nachlässig oder destruktiv sind?

Zur körperlichen kommt die psychische Aufbesserung hinzu. Informationen aus aller Welt sind schon heute zugänglich, aber eben außerhalb des Körpers – auch die Google-Brille, mit der man das Internet nutzen kann. Ein Schritt weiter ist der in die Netzhaut des Auges eingesetzte Mikrochip, der Internet sehen und Handbücher abrufen lässt oder auch das Lichtwahrnehmungsspektrum der normalen Netzhaut erweitert – wir sehen dann vielleicht eine neue Welt. Auch die direkte Verknüpfung von Chip und Nervensystem ist denkbar: Lexika, Krimis, Weltliteratur. Alle Folgen von „Game of Thrones“ im Kopf abspielen. Vielleicht werden wir dann gleich verrückt. Aber der Körper ist jedenfalls immer mit dem Netz verbunden, ein Endgerät des großen Weltcomputers, des globalen Superorganismus. Es wird für dieses Geschehen keine „Stoppmechanismen“ geben. Das hat noch nie funktioniert: Wenn etwas gemacht werden kann, wird es gemacht.

Wir könnten verweigern. Aber die Roboter werden sich entwickeln: Sie lernen bereits selbstständig, sie werden in vielen (komplexen) Aktivitäten die Menschen überholen. Sie können Situationen verstehen und Bilder interpretieren. Sie werden die besseren Analytiker von Röntgenbildern sein. Artikel schreiben. Rechtsfragen entscheiden. Sich mit Seniorinnen unterhalten. Sie werden sich selbst Informationen besorgen, miteinander interagieren, daraus Schlüsse ziehen. Deshalb wird gesagt: Wir brauchen die Aufrüstung des Menschen, um mit unseren Geschöpfen mithalten zu können, überhaupt wettbewerbsfähig zu sein.

Unterscheidungen gehen verloren: Körper und Umwelt? Künstlich und natürlich? Medizinische Therapie oder Neuschöpfung? Die menschliche (biologische) Spezies könnte „hinübergleiten“ in eine elektronische Spezies, die sich vielleicht für weniger missraten hält – und die Vorgänger beseitigt. Das ist nicht Science-Fiction, sondern Sache der nächsten Jahrzehnte. Das läuft alles längst. Menschen, die neue Menschen erschaffen, die immer weniger vom Menschlichen haben – und die sich letztlich im Zuge dieser Bastelarbeit vielleicht selbst abschaffen.