Was ist in Griechenland jetzt eigentlich passiert – und wie verändert es die Lebensrealität im Land?

Am Montag ist das Kreditprogramm des Eurorettungsschirms ESM offiziell ausgelaufen. Damit fallen auch die seit 2015 geltenden Kapitalverkehrskontrollen weg. Griechen können damit wieder mehr als die bisher erlaubten 1800 Euro pro Monat vom Konto abheben. Die Kontrollen der Kreditgeber laufen allerdings weiter.

Ist Griechenland jetzt wieder kreditfähig?

Skeptisch ist die Denkfabrik CEP, weil der Kapitalstock des Landes angesichts „unzureichender Investitionen“ weiter schrumpfe. Dennoch sollte Griechenland kaum Probleme haben, am Markt ausreichend Geld aufzunehmen. Nicht zuletzt verlässt das Land den Rettungsschirm mit Rücklagen von 24 Milliarden Euro und könnte sich notfalls zwei Jahre lang selbst finanzieren.

Wie reagieren die Geldgeber – und was sagen Griechen?

„Ihr habt es geschafft“, twitterte EU-Ratspräsident Donald Tusk. Auch aus Berlin, der Projektionsfläche des Hasses über die Sparmaßnahmen, kamen Würdigungen. „Die düsteren Prophezeiungen der Untergangspropheten sind nicht eingetreten“, sagte Finanzminister Olaf Scholz. Joachim Lang vom deutschen Industriellenverband ist überzeugt, dass der griechische Markt „wieder attraktiver wird“. Es gibt aber auch Skepsis. Die Globalisierungskritiker von Attac warnen davor, dass Athen die Auflagen nicht einhalten könne, „weil sie völlig unrealistisch sind“. Ex-Finanzminister Varoufakis sieht Griechenland „am selben Punkt, im gleichen schwarzen Loch und es versinkt jeden Tag tiefer darin“.

Wird die griechische Wirtschaft jetzt schneller wachsen?

Diese Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten. Klar ist aber: Nach Jahren der Rezession ist der hellenische Wachstumsmotor wieder angesprungen. 2017 lag das Wachstum Griechenlands bei 1,4 Prozent, für 2018 wird ein Plus der Wirtschaftsleistung von 1,9 Prozent prognostiziert.

Bis wann muss Griechenland die Kredite zurückzahlen?

Athen hat für die Rückzahlung an die Europartner zehn Jahre mehr Zeit als einst geplant. Mit der Rücküberweisung der Raten für das zweite Hilfsprogramm muss das Land erst 2033 beginnen. Ökonomisch ähnelt das einem Schuldenschnitt, da Inflation vergebene Kredite entwertet.

Hat Österreich an den Griechenland-Hilfen tatsächlich gutes Geld verdient?

Laut dem Finanzressort haftet Österreich noch mit 10,7 Milliarden Euro für Griechenland – es besteht weiter das Risiko, dass Teile dieses Geldes einmal verloren sein könnten. Daher ist es für eine finale Betrachtung zu früh. Die kumulierten Zinseinnahmen aus den bilateralen Darlehen Österreichs für Griechenland betrugen indes 112,5 Millionen Euro. Warum man Österreich vorerst noch zu den Profiteuren der Krise zählen kann: Das Land verschuldet sich beispiellos billig, da seine Staatsanleihen im Gegensatz zu den Papieren anderer „Krisen“-Staaten als sicher gelten.

Wer haltet die griechischen Schulden?

Mit 191 Milliarden Euro halten nun der EU-Stabilitätsfonds ESM und sein Vorgänger EFSF 55,5 Prozent der griechischen Staatsschulden. Nach den Vorstellungen der Eurogruppe soll Griechenland über Jahrzehnte Primärüberschüsse (um Zinszahlungen bereinigter Haushaltsüberschuss) erzielen und damit Schulden abtragen.

Welche Reformen hat Griechenland in den letzten Jahren umgesetzt?

Erfolgreich reformiert wurde das Pensionssystem. Pensionen wurden gekürzt, vor allem überhöhte Altersruhegelder wurden abgeschmolzen. Zudem wurde das Pensionseintrittsalter angehoben und ein voll digitalisiertes Einwohnermelderegister geschaffen, mit dem Betrug zulasten der Pensionsversicherung unterbunden werden soll. Privatisierungen wurden großflächig angeschoben, etwa bei Flug- und Seehöfen sowie bei Inseln und Ferienresorts. Das weitreichende Streikrecht der Griechen wurde eingeschränkt. Eine Forderung vor allem aus Deutschland war der Aufbau eines Katasteramtes, um überhaupt einen Überblick über Grundeigentum zu bekommen und Rechtssicherheit zu schaffen.

Und welche Schritte fehlen noch?

Für den Vizechef des Steuerzahlerbundes ist die Krise nicht beendet, „weil der öffentliche Dienst nicht reformiert wurde, noch immer Tausende Beamte da sitzen, wo sie nicht gebraucht werden“, sagt Thrasivoulos Miaris. Das Steuersystem, das die Wirtschaft „killt“, wurde „komplizierter statt einfacher und gerechter“.

 Wurde Griechenland für Investoren attraktiver?

Die überbordende Bürokratie (mit zum Teil sich widersprechenden Vorschriften) wurde etwas entflochten, wirkt aber immer noch abschreckend. Gleiches gilt für das Steuersystem. Guntram Wolff, Direktor des Bruegel-Institutes in Brüssel, hat „große Zweifel“, dass internationale Investoren ins Land kommen werden. Ein Grund: Regierung wie auch Teile der Opposition fürchten einen Ausverkauf des Landes. Die Angst vor den Wählern einerseits und andererseits die Notwendigkeit, Investoren ins Land zu holen, führen zu widersprüchlichen Signalen.

Wie entwickelt sich die Arbeitslosigkeit im Land?

Die Arbeitslosenquote ist in Griechenland amtlichen Angaben zufolge in den letzten fünf Jahren von 28 Prozent auf knapp 20 Prozent gefallen. “Das ist immer noch viel zu hoch“, lässt EU-Kommissar Pierre Moscovici nun wissen. Aber: „Die wirtschaftliche Erholung Griechenlands ist kein Ereignis, sondern ein Prozess“. Zur Erinnerung: Im Mai 2010 lag die Rate noch bei 12,1 Prozent. Schwer wiegt, dass mehr als die Hälfte der Arbeitslosen sogenannte „Langzeitarbeitslose“ sind. Diese finden seit mehr als einem Jahr keine Beschäftigung und gelten als schwer vermittelbar. Auch dramatisch: Bei den 15- bis 24-Jährigen beträgt die Arbeitslosenrate 39,7 Prozent.

Wie hoch ist die Rückfallgefahr für Griechenland?

„Bei der nächsten Rezession müssen wir wieder zittern“, warnte schon der Ökonom Christian Keuschnigg im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. Auch viele seiner Kollegen zweifeln an der wirtschaftlichen Standhaftigkeit von Griechenland, sollten global schwierigere Zeiten kommen. Das Land werde sich einige Jahre „durchwursteln“, sagt etwa Guntram Wolff, bevor es wieder „richtig krachen“ könnte. Der Schuldenberg – knapp 180 Prozent der Wirtschaftsleistung – hänge nämlich wie ein Damokles-Schwert über Griechenland.