Beim Front National wird abgerechnet. Mit Marine Le Pen zunächst. Die mit 33,94 Prozent der Stimmen überraschend deutlich hinter den anvisierten 40 Prozent zurückgebliebene Präsidentschaftskandidatin hatte nach ihrer Niederlage bereits klargestellt, dass es mit ihrer Partei nicht weiter gehen werde, als sei nichts passiert. „Einen tiefgreifenden Wandel hin zu einer neuen politischen Kraft“, kündigte Le Pen an, während sich Frankreichs neuer Präsident Emmanuel Macron in einer Fernsehansprache an die Nation wandte.

Bereits am Dienstag dürfte die FN-Chefin, die sich vom Parteivorsitz „vorübergehend entbunden“ hat, um sich ganz auf Präsidentschafts- und Parlamentswahlen konzentrieren zu können, einiges zu hören bekommen haben. Gewiss, auf der Agenda der hinter verschlossenen Türen in Paris tagenden FN-Spitzen stand die Suche nach einer Strategie für die Mitte Juni stattfindenden Wahlen zur Nationalversammlung. Aber schon im Vorfeld des Treffens hatten Frontisten im Schutze der Anonymität ihrem Ärger über den „verpfuschten Wahlkampfendspurt“ Le Pens lautstark Luft gemacht.

Auf Kritik stößt zunächst, dass die Kandidatin lange Zeit den Ausstieg aus dem Euro propagierte, bevor sie kurz vor der Stichwahl den ungeordneten Rückzug antrat, für ein diffuses Nebeneinander von Euro und Franc plädierte. Vor dem Hintergrund, dass 70 Prozent der Franzosen am Euro festhalten wollen, mutet beides befremdlich an. Vor allem aber wird Le Pen verübelt, dass sie im Fernsehduell mit Macron zwar äußerst aggressiv, aber auch äußerst amateurhaft zu Werke gegangen war. Ein sachlich fundiertes Projekt für Frankreich hatte sie nicht zu bieten.

Der hässliche Parteiname wird entsorgt

Einen Aufstand gegen die FN-Chefin wird es in den fünf Wochen bis zu den Parlamentswahlen allerdings nicht geben. Revolutionäres Chaos will niemand riskieren. Klar ist aber, dass die Partei sich verstärkt rechtskonservativen Wählern öffnen muss, will sie eines Tages auf die zur Machtübernahme erforderliche Mehrheit kommen. So manches, was verschreckt, soll über Bord geworfen werden. Dazu zählt zumal das Projekt des Euro-Ausstiegs, das zurückgestellt oder ganz aufgegeben werden dürfte. Auch der an die hässlichen rechtsradikalen Wurzeln erinnernde Parteiname Front National dürfte entsorgt werden. Spätestens bei einem für Ende 2017 / Anfang 2018 geplanten Parteikongress will man gründlich aufräumen. Louis Aliot, FN-Vizevorsitzender und Lebensgefährte Marine Le Pens, hält sogar eine „totale Auflösung des FN und die Gründung einer neuen Bewegung“ für möglich.

Fürs erste hofft die Partei, es bei den Parlamentswahlen noch unter altem Namen und mit der alten Chefin zum neuen Oppositionsführer zu bringen. Die Chancen stehen nicht schlecht. Frankreichs in der politischen Mitte verankerter neuer Präsident setzt auf Zulauf aus den Reihen der von Richtungskämpfen ausgezehrten Konservativen und Sozialisten. Prominentester Überläufer ist Ex-Premier Manuel Valls. Er hat die Sozialistische Partei für tot erklärt und am Dienstag angekündigt, bei den Parlamentswahlen für Macrons Bewegung La République en Marche zu kandidieren. Sollte sich der Niedergang der Traditionsparteien fortsetzen, fällt die Rolle des Oppositionsführers den am politischen Rand beheimateten Kräften zu: Jean-Luc Mélenchons links außen positionierter Bewegung La France Insoumise (Unbeugsames Frankreich) und auf der anderen Seite des politischen Spektrums dem Front National.