Jetzt ist schon wieder nichts passiert. Legionen von Reformkommissionen, Expertenzirkeln, Zukunftsforen und in jüngerer Vergangenheit gar ein Konvent haben sich in den letzten Jahren am Reformbedarf des heimischen Staatsgebäudes abgearbeitet.

Eine überzeugende Mehrheit der von diesen Denkwerkstätten auf die Reise geschickten Forderungen, Vorschläge und Vorhaben ist aber nie in der Wirklichkeit angekommen. Das macht Österreich nicht unbedingt zukunftsfitter. Kann so die Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik fortgeschrieben werden? Es gibt berechtigte Gründe, daran zu zweifeln. Denn der Ozean rund um unsere "Insel der Seligen" ist stürmischer geworden. In Zeiten einer beschleunigten Liberalisierung der Wirtschaft, einer ungebremsten Globalisierung der Finanzmärkte und Transnationalisierung in der Politik in Zusammenhang mit der europäischen Integration ist das sich selbst genügende Musikantenstadlidyll auf dem Eiland der Gemütlichkeit bedroht. Und jetzt?

Wie kann es weitergehen? Längst ist das 21. Jahrhundert in Österreich angekommen. Aber ist Österreich schon im 21. Jahrhundert angekommen?

Am Vorabend des 27. April, an dem die Zweite Republik ihren 70. Geburtstag feiert, stellen wir in dieser Schwerpunktausgabe wesentliche gesellschaftliche Antriebsstränge des Landes auf den Prüfstand: Wo müssen Schrauben nachgezogen, welche Komponenten repariert werden? Braucht der Staatsmotor einen Ölwechsel, bringen die Reifen der Institutionen noch ausreichend Grip auf die Straße Richtung Morgen?

Proporz-Universum

Im Heute war ja alles ganz einfach: Die politisch infiltrierte Proporzgenetik macht aus Österreich in den Grundfesten seiner Verwaltung und des öffentlichen Lebens ein zweigeteiltes Land.

Es gibt rote und schwarze Personal-, Pflege-, Senioren- und Frauenorganisationen, die rot dominierte Arbeiterkammer und die schwarz bestimmte Wirtschaftskammer, auf die Berge kraxelt man mit den roten Naturfreunden oder dem schwarzen Alpenverein. Ja nicht einmal im Kernbiotop unseres Hurrapatriotismus - dem Sport - geht's ohne Parteisirup, der zur roten Askö oder schwarzen Union verdünnt wird. Auch sein lahmendes Auto kann man nicht fraktionsfrei abschleppen lassen: Der ARBÖ wird dem roten, der ÖAMTC dem schwarzen Lager zugerechnet.

In diesen roten und schwarzen Paralleluniversen hat sich eine Politik der kurzen Wege etabliert. Man wirtschaftet mit Freunderln und pflegt eine Haberer-hallo-Mentalität. Das Parlament verkümmert zur verlängerten Werkbank der Regierung. Der Durchschnittsabgeordnete ist willfähriger Vollstrecker jener Partei, der er sein Mandat verdankt, zeichnet sich durch floskelhafte Sprache und den Vollzug parlamentarischer Rituale aus. Das ist keine billige Politikerschelte von außen, sondern eine Diagnose von innen. Sie stammt vom vormaligen Zweiten Nationalratspräsidenten Heinrich Neisser.

Lethargie-Falle

Die Bewältigung einer umfassenden Aufgaben- und Ausgabenbereinigung des Staatsvehikels wird dadurch nicht leichter. Das dumpfe Gefühl des Stillstands, das wachsende soziale Unbehagen und größer werdende Ungerechtigkeiten sollen aber nicht den in der Bundeshymne verordneten grundoptimistischen Blick in die Zukunft verstellen. "Mutig in die neuen Zeiten", lautet das Plädoyer am Beginn der dritten Strophe. Ein Auftrag.

Vielleicht sollte man es auch als Befehl verstehen, sich nicht in der Lethargie von Robert Musils Kakanien, dem Alter Ego Österreichs, zu genügen: "Kakanien war der Staat, der sich selbst irgendwie nur noch mitmachte. Und darin war Kakanien, ohne dass die Welt es schon wusste, der fortgeschrittenste Staat."

Eine Modernisierung unseres Republikskorpus tut not. Nicht losgelöst von den Erfahrungen, aber befreit von der Erstarrung. In die Vergangenheit hineinhorchend, an die Zukunft denkend - und in der Gegenwart handelnd: So könnte es klappen mit einem "Österreich 4.0".

Wachkoma

Also: Raus aus dem Wachkoma, hinein in die Wiederbelebung der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Bildung und nicht zuletzt der Politik! Politiker, die ihr Gleichgewicht nur dadurch halten, dass sie immer das Gegenteil von dem tun, was sie sagen, gehen als taugliches Führungspersonal jedenfalls nicht mehr durch.