Herr Bundeskanzler, das wird kein leichtes Gespräch für uns. Sie legen in den Abschiedsinterviews den Panzer nicht ab, geben ungern Gefühle preis, sagen nur: Die ÖVP war´s.
GUSENBAUER: Ich kann der Erwartung überschwänglicher Trauer und Selbstbezichtigung nicht entsprechen. Das spielt´s nicht. Ich weiß seit Juli, dass ich früher oder später aus diesem Büro ausziehe, bin 48 und beginne einen neuen Lebensabschnitt. Mehr Pathos kann ich nicht bieten.

Gewöhnliche Menschen siedeln mit Bananenschachteln, wie siedelt ein Bundeskanzler?
GUSENBAUER: Da sind normale Kartons herumgestanden, in die ich die Bücher, die mir gehören, geschlichtet habe. Ich habe mich von allen Mitarbeitern hier verabschiedet. Die Stimmung war sehr herzlich.

Hätten Sie sich diese Zuneigung auch von Ihrer Partei gewünscht?
GUSENBAUER: Wer ist die Partei? Jeden Tag rufen mich Bürgermeister oder Funktionäre an und sagen, ein Wahnsinn, wieso gehst Du schon, können wir etwas tun für Dich, magst nicht im Jänner zu unserem Ball kommen? Und daneben gibt's halt die Landeshauptleute, die an ihre nächsten Wahl denken, und sich abwenden, wenn es auf Regierungsebene nicht rund läuft. Dann wird die Luft immer dünner.

Wann haben Sie erkannt, dass die Luft zu dünn wird?
GUSENBAUER: Ende Mai war klar, dass das nicht mehr geht. Dass es eng wird in der Partei, die ÖVP ihre Wahlkampfvorbereitungen forciert. Mir war klar: Wenn jetzt nicht Fundamentales geschieht, ist es aus. Die Doppelspitze war der Versuch, Luft zu gewinnen. Der eine sollte sich mehr um die Befriedung der Partei, der andere sich um die Regierung kümmern.

War das auf Dauer angelegt, oder war klar, dass das nur eine Zeit lang funktionieren kann?
GUSENBAUER: Meine Überlegung war, schauen wir, wie das bis zum Parteitag funktioniert. Die Doppelspitze war für die ÖVP mit ein Grund, das Bündnis zu beenden. Davor hatten sie immer mich ins Sperrfeuer genommen, zwei gleichzeitig war schwieriger.

Peter Huemer meint, die SPÖ habe Sie nie ins Herz geschlossen, Werner Faymann schon.
GUSENBAUER: Wenn es so ist . . .

. . . ist es so?
GUSENBAUER: Ich habe dieser Partei einiges zugemutet an inhaltlicher Neuausrichtung, so wie ich mir eine moderne Sozialdemokratie vorstelle. Da hat es dann logischerweise nicht nur ungeteilte Zustimmung gegeben.

Wo, glauben Sie, haben Sie die SPÖ überfordert?
GUSENBAUER: Ich habe die Partei vermutlich 2006 nach dem Bawag-Debakel überfordert. Ich war der Meinung, dass sich die Spitzen der Gewerkschaft auf ihre ureigenste Arbeit konzentrieren sollten und die Partei auf die parlamentarische. Das haben viele als Tabubruch empfunden, als Versuch, die gewerkschaftliche Macht zu beschneiden. Ohne den Schritt hätten wir aber die Wahl 2006 nie gewonnen.

Faymann hat die Lösung der SPÖ aus der Umklammerung der Gewerkschaft rückgängig gemacht. Jetzt sitzt der ÖGB-Chef sogar in der Regierung.
GUSENBAUER: Es ist eine andere Zeit. Ohne den Schulterschluss mit der Gewerkschaft und den Pensionisten, den Kernschichten, wäre das Wahlergebnis 2008 nicht zu erreichen gewesen. Im übrigen ist nicht nur die Gewerkschaft in der Regierung vertreten, sondern auch die Wirtschaftskammer. Es ist vernünftig in einer Zeit, da soziale Spannungen zu befürchten sind, beide Sozialpartner nah einzubinden.

Ist es nicht eher so, dass die Sozialpartner die Regierung ganz nah an ihre Brust nimmt?
GUSENBAUER: Jetzt gibt es eben dieses Modell, von dem ich versuche, ihm Vorteile abzugewinnen. Mein Modell war ein anderes.

Ihr Ex-Pressesprecher schreibt in einem Buch, dass Sie 2006 eine Minderheitsregierung planten.
GUSENBAUER: Es stimmt, dass ich zu Heinz Fischer gesagt habe, dass sich die Republik von der ÖVP nicht in Geiselhaft nehmen lassen darf und dass man etwas anderes machen muss, wenn die ÖVP nicht verhandeln will. Ich habe gesagt, dass dann eine Minderheitsregierung am klügsten wäre. Der Bundespräsident hat klar gemacht, dass seine Priorität eine stabile Regierung sei, und dass man sich dafür noch Zeit nehmen solle.

Wäre die Minderheitsregierung aus der Sicht der SPÖ die aussichtsreichere Option gewesen?
GUSENBAUER: Ich räume ein, dass es aus heutiger Sicht vielleicht die ertragreichere Variante gewesen wäre. Andererseits kann ein Bundespräsident ja nicht Hasardeur spielen und sagen, ihr habt zwar keine Mehrheit im Parlament, aber macht's jetzt einfach, weil's lustig seid's.