Frankreichs Sozialisten haben gerade eine Urabstimmung abgehalten. Wenn Sie eine Urabstimmung über die große Koalition in der Volkspartei ansetzen, werden sie diese wohl verlieren.
JOSEF PRÖLL: Das sehe ich nicht so. Das Koalitionsabkommen trägt deutlich die Handschrift der ÖVP. Auch die Ressortaufteilung kann sich sehen lassen. Ich werde mich mit dem Ergebnis und meinem Team der Wahl stellen.

In der Steiermark brodelt es. Haben Sie den Kontakt zur Basis verloren?
PRÖLL: Überhaupt nicht. Ich bin in allen Bundesländern unterwegs. Ich werde mich in der Steiermark noch vor Weihnachten mit meiner Regierungsmannschaft einer Diskussionen stellen.

Ein Abgeordneter meint, der Faden zur Parteispitze sei abgerissen. Ist das noch reparierbar?
PRÖLL: Ich sehe den Faden nicht abgerissen. Ich pflege den Kontakt zur Basis mehr den je.

Schützenhöfer schließt sogar eine Abspaltung nicht aus.
PRÖLL: Ich halte es nicht für gut, in die Volkspartei Abspaltungstendenzen hineinzutragen.

Wie wollen Sie die Skeptiker auf ihre Seite bringen?
PRÖLL: Durch gute Arbeit. Ich verstehe die Skepsis, die große Koalition hat keine gute Figur gemacht. Ich will dieses Bild durch ordentliche Arbeit korrigieren.

Sie haben keinen Steirer zum Minister oder zum Vize gemacht. Sind Sie auf die Steirer sauer?
PRÖLL: Überhaupt nicht. Ich bin froh, dass ich mit Reinhold Lopatka einen Steirer im wichtigsten Ressort der Republik an meiner Seite habe.

Rebellieren die Steirer, um von internen Problemen abzulenken? Die Lage in der steirischen ÖVP ist ja nicht gerade nicht rosig.
PRÖLL: Nein, es überwiegt die tiefe Enttäuschung über die Wahlniederlage in Kombination mit dem schlechten Bild der großen Koalition.

Warum gibt es keine Alternative zur Koalition mit der SPÖ?
PRÖLL: Weil die Alternative ÖVP/ BZÖ/Grün mit einem Mandat Überhang keine tragfähige Mehrheit darstellt. Mit Strache war es nicht möglich, weil er die verbindliche Festschreibung einer nationalen EU-Volksabstimmung zur Bedingung gemacht hat.

Der Gang in die Opposition?
PRÖLL: Opposition bedeutet, Neuwahlen im nächsten Jahr. Die ÖVP wäre aus strategischer Sicht dann nicht gut aufgestellt. Der Zeitraum, um sich - wenn überhaupt - zu regenerieren, wäre zu kurz gewesen.

Haben Sie nie an Alternativen gedacht?
PRÖLL: Doch, ich habe Gespräche geführt und bald erkannt, dass es nicht möglich ist, Alternativen zusammenzuzimmern.

Haben sich mit Haiders Tod nicht die Alternativen reduziert?
PRÖLL: So sehe ich es auch. Mit ihm hätte es eine bessere Ausgangsposition gegeben. Mit ihm hätten wir leichter auf einen gemeinsamen Nenner kommen können.

Seit 1986 spielt die ÖVP den Juniorpartner, und seit damals geht es bergab...
PRÖLL: ...und als wir 1970 in die Opposition gegangen sind, sind wir 16 Jahre dort geblieben. Dann sind wir als Zweiter in die Koalition gekrochen und haben aus der dritten Position den Kanzler geschafft. Den Kanzler haben wir dann aus einer Position der Stärke wieder verspielt. Wir haben schon alles zusammengebracht.

Die Wahl zwischen Opposition oder Juniorpartner ist also die Wahl zwischen Pest und Cholera?
PRÖLL: Nein. Man kann auch als Zweiter sein Profil schärfen, ohne dauernd zu streiten. Ich bin optimistisch, dass ich die ÖVP in fünf Jahren wieder zur Nummer eins führe.

Sie stellen sich am ÖVP-Parteitag der Wahl. Sie peilen 50 Prozent an. Ein bisschen wenig...
PRÖLL: Ich will deutlich über 50 Prozent. Wie gesagt: Ich trete als Parteiobmann im Paket mit dem Regierungsteam und dem Regierungsprogramm an.

Braucht nicht auch die ÖVP einen Neustart?
PRÖLL: Wir brauche eine Runderneuerung. Wir brauchen ein modernes Parteimanagement, und wir müssen in die programmatische Diskussion einsteigen. Ich werden am Parteitag ein Signal geben.

In welche Richtung?
PRÖLL: Wir haben in der Perspektivengruppe Vorarbeiten geleistet. Wir sind die Bürgermeisterpartei Österreichs, hier müssen wir ansetzen. Wir müssen uns weiter öffnen und die Leute für unsere Politik begeistern. Politik muss das Leben verstehen, nicht umgekehrt.

Sind die Bünde das Fundament oder die Achillesferse der ÖVP?
PRÖLL: Sie sind tragende Säulen wie die Länderorganisationen, allerdings muss das ganze Haus runderneuert werden.

Sollte man nicht eine vierte Säule errichten? Einen Bürgerbund?
PRÖLL: Das ist meine Vorstellung, dass wir außerhalb der existierenden Strukturen Netzwerke schaffen.

Warum ist Herbert Paierl nicht Wirtschaftsminister geworden?
PRÖLL: Weil ich dem ÖVP-Vorstand einen anderen Vorschlag gemacht habe. Es darf hier keinen Zweifel geben: Paierl ist eine unglaubliche politische Begabung.

Die EU-Volksabstimmung schwebt wie ein Damokles-Schwert über der Koalition. Hier wurde nichts gelöst.
PRÖLL: Es wird mit der ÖVP, wenn sie es nicht will, in dieser Legislaturperiode keine Volksabstimmung geben. Ich werde mich weder von der "Kronen Zeitung" noch von Faymann in irgendeine Richtung treiben lassen.

Die ÖVP geht dann mit fliegenden Fahnen unter.
PRÖLL: Wir werden mit fliegenden Fahnen Widerstand leisten und klar machen, worum es für Österreich geht.

Was sind ihre ersten wichtigen Entscheidungen?
PRÖLL: Zum einen die Bewältigung der wirtschaftlichen Krise, zum anderen die Entlastung der Menschen über die Steuerreform und das Familienpaket. Die Steuerentlastung wird im ersten Halbjahr beschlossen und rückwirkend abgewickelt.

Werden Sie als Finanzminister nicht in die Rolle des Nein-Sagers gedrängt, sollte Faymann unter Druck der Gewerkschaft Sie mit Begehrlichkeiten überhäuft?
PRÖLL: Überhaupt nicht. Der Finanzminister kann, wenn er seinen Job politisch anlegt, auch von sich aus aktiv werden. Ich werde die Steuerreform machen, das Familienpaket vorlegen, die Konjunkturpakete begleiten. Nicht als Kopf der Finanzverwaltung, sondern als Herz der Politikgestaltung. Ich habe jedenfalls nicht vor, als Verhinderer in die Geschichte einzugehen.