Herr Burger, heute ist Nationalfeiertag. Da drängt sich die Frage auf: Sind Sie Patriot?
RUDOLF BURGER: Nur in Krisensituationen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals begeistert ein rot-weiß-rotes Fähnchen geschwenkt zu haben. Noch gehöre ich zu denen, die glauben, sie müssten sich beim Erklingen der Bundeshymne die Hand aufs Herz legen. Solches Pathos ist mir zuwider. Da würde ich mir in Österreich schon mehr ernsthaften Respekt vor den Institutionen des Staates und mehr ästhetische Sensibilität für die Selbstrepräsentation der Republik wünschen.

Fehlt dieser Respekt?
BURGER: In der Hofburg ist zurzeit die Statue einer Dame ausgestellt, die von der Weite fast an die Nike von Samothrake erinnert. Es ist die Statue der "Austria", die die Bürger von Czernowitz in Polen in der Monarchie in Auftrag gegeben haben, um ihre Verbundenheit mit Österreich zu zeigen. Heute hingegen lässt die Kronen Zeitung während der Europmeisterschaft österreichische Fahnen mit einem Fußball drauf verteilen. Nicht dass ich solche Rotzbübereien ernst nehme. Ironie ist mir allemal sympathischer als die pompöse Inszenierung von Gefühlen. Aber in Frankreich, England oder den USA wäre so ein bis zur Selbstverwahrlosung gehender Umgang mit den Symbolen des Staates schwer möglich.

Wie geht man dort damit um?
BURGER: Nehmen Sie die USA. Egal welchen amerikanischen Film man sich anschaut, sei das eine billige TV-Serie oder ein elaborierter Kunstfilm, man wird kaum eine Einstellung finden, in der man nicht die "Stars and Stripes" sieht. Die Flagge ist allgegenwärtig. Man steckt sie sich ans Gewand, pflanzt sie im Vorgarten auf. Würde in Österreich nur in Bruchteilen so ein Kult betrieben, wäre das Entsetzen in der linksliberalen Szene groß: "Um Gottes Willen, was ist da für ein Nationalismus unterwegs!"

Was macht den Unterschied?
BURGER: Die USA sind ein klassisches Einwanderungungsland. Sie haben sich über Immigration konstituiert und müssen sich ständig neu erschaffen. Nur so ist die dauernde symbolische Selbstvergewisserung erklärbar. Österreichs dagegen konnte sich als Nation lange nicht positiv historiographisch definieren, weil es als Staat nicht das Ergebnis eines nationalistischen Einigungsprozesses sondern einer Zerreißung und Zerschlagung ist. Dabei hat sich die die nationale Identität der Republik aber nie in Abgrenzung zu den ehemaligen Kronländern bestimmt, sondern ausschließlich in Bezug auf Deutschland: Österreich ist das Land, das nicht Deutschland ist. Aus diesem Missverhältnis bildete sich das Trauma des Ausschlusses heraus, das nach 1938 in ein Anschlusstrauma umgeschlagen ist und in dieser Gestalt die psychologische Grundlage des neuen Nationalgefühls der Zweiten Republik gebildet hat.

Wie bestimmend ist dieses Trauma heutzutage für unser nationales Selbstbild?
BURGER: Es ist sicher ein Grund für die prinzipielle Skepsis gegenüber jeder Form von nationaler Rhetorik, die man in Österreich nach wie vor nährt. Aber die Frage, ob Österreich eine Nation ist oder nicht, ist heute erledigt. Der deutsche Politologe Richard Loewenthal sagte einmal: "Die Österreicher wollten Deutsche werden - bis sie es dann wurden."