Das Raunen und Wundern in politischen Zirkeln, wo denn bei der SPÖ in der Endphase Alfred Gusenbauers und beim Übergang zum neuen Kurs Werner Faymanns die sonst gern kritischen Geister geblieben seien, dürfte bald vorüber sein. Es gibt sie noch, die sensibleren SPÖ-Mitglieder oder heftigen Sympathisanten, die nicht einfach hinnehmen, wenn die Parteioberen einen "Kniefall vor dem Stammtisch" machen oder ziemlich unverhohlen auf den unsäglichen Europa-Kurs der "Kronen Zeitung" einschwenken, wie Schauspieler und Kabarettist Erwin Steinhauer meint. Er regt sich darüber, wie er der Kleinen Zeitung erzählt, "seit mindestens sechs Wochen" auf.

Federführung von Lacina Vor vierzehn Tagen ist eine breit gefächerte Gruppe unterschiedlichster Personen aktiv geworden. Sie hat sich gefunden und unter Federführung von Ex-Finanzminister Ferdinand Lacina ihren Zorn über die Parteiführung zu Papier gebracht. Mehrmals überarbeitet, wurde der "offene Brief an den Bundesparteitag der SPÖ" am Montag in die SPÖ-Zentrale geschickt, drei Tage vor deren Parteitag am Freitag in Linz.

Signal an die Parteispitze. "Das soll ein Signal an die Parteispitze sein, mit Kritik und innerparteilicher Demokratie viel pfleglicher umzugehen", erklärt Lacina seine und jene Motive der Unterzeichner. Der Brief sei keine Kampagne, sondern ein Appell. Aber doch "für manchen von uns die letzte Chance", der SPÖ weiter bei der Stange zu bleiben.

Einlenken am Freitag? Sofern es übermorgen in Linz "eine erkennbare Kurskorrektur gibt", wie auch der Historiker Oliver Rathkolb meint. Ihn regt wie Steinbauer und Lacina vor allem auf, wie die SPÖ-Spitze ohne vorherige Diskussion selbstherrlich den SPÖ-Kurs in Europafragen geändert hat. "Das widerspricht allen demokratischen Grundregeln", meint Rathkolb.

Ungleichheit zwischen Arm und Reich. Erheblichen Groll entwickeln die SPÖ-Parteigänger, wie im Brief nachzulesen ist, auch über "wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich", Mann und Frau, bei Bildungs- und Aufstiegschancen, Ausländerfragen oder über die "Dominanz neoliberaler Politik". Und was macht die SPÖ dagegen? So gut wie nichts, obwohl es reichlich Konzepte zur Entschärfung dieser Probleme gebe, auch von SPÖlern. Doch diese fänden "kaum ein Echo in der konkreten Politik der SPÖ", heißt die Kritik.

Besinnung auf die Wurzeln. Dabei sei die SPÖ "unersetzlich" als "führende Kraft zur Durchsetzung von Alternativen zu gesellschaftlichem Rückschritt", meinen die Briefschreiber. Deshalb wollten sie "zur Besinnung auf die Wurzeln und Grundsätze der Sozialdemokratie", zum Aufbruch Richtung Offenheit und neue, demokratische Auseinandersetzung drängen. Sonst drohe zumindest ihnen "der Verlust ihrer politischen Heimat", schreiben sie weiter.

Hoffnung stirbt zuletzt. Ob der am Freitag zum neuen SPÖ-Chef zu wählende Faymann den Appell ernst nehmen und entsprechend darauf reagieren wird? Lacina ist sich nicht sicher. "Ich kenne Faymann zu wenig. Aber wie sagt man? Die Hoffnung stirbt zuletzt". Auch andere Unterstützer hegen so ihre Zweifel. Manche wären schon mit eindeutigen Gesten zufrieden. Für Erwin Steinhauer etwa wäre es "das Wichtigste, dass er Distanz zur ,Kronen Zeitung' schafft".