Mit Radovan Karadzic kommt in Den Haag der Mann vor Gericht, der immer für alles gerne "die Verantwortung" übernahm. Viel Aufschluss über Hintergründe des Krieges und über das Massaker von Srebrenica darf man sich von dem Prozess nicht erwarten. Immerhin aber wird Karadzic endlich lernen müssen, was das eigentlich ist: die Verantwortung.

"Frontschwein". Militärisch hatte der Präsident, obwohl formal Oberkommandierender, im Krieg nichts zu sagen: Die bosnisch-serbische Armee wurde personell, strategisch und finanziell von Belgrad unterhalten. Nur Ratko Mladic, Generalstabschef der nur formal eigenständigen bosnisch-serbischen Armee, hatte sich mit dem Image des "alten Frontschweins" eine eigene politische Hausmacht verschafft. Er verachtete den geschwätzigen "Etappenhengst" Karadzic zutiefst. Hinzu kam eine ideologische Kluft. Während Karadzic frömmelte, öffentlich betete und die Tradition der königstreuen Tschetniks hoch hielt, stützte sich Mladic auf das kommunistische Erbe der Jugoslawischen Volksarmee.

Feindschaft. Als die Truppen des Generals Mladic im August 1995 in Srebrenica sieben- bis achttausend wehrlose Männer und Jungen töteten, herrschte zwischen Karadzic und Mladic gerade akute Feindschaft; einer versuchte, den anderen loszuwerden. In Belgrad, wo Mladic den Most holte, war der Mann mit der Haartolle schon seit einem vollen Jahr persona non grata.

Spiel. Auch politisch durfte Karadzic den Strategen nur spielen. Über Krieg und Frieden entschied Belgrad, und über die Einzelheiten wurde auf lokaler Ebene befunden. Karadzics "Republika Srpska" war ein suggestiver Fleck auf der Landkarte, kein Staat. Karadzic prägte Formeln wie die, dass ein gemeinsamer Staat für Serben und Muslime sei wie Hunde und Katzen in einen Käfig zu sperren und wiederholte bei Gelegenheit seine Mantras von der historischen "Türkengefahr" - Thesen, die man sich aber auch bei Franjo Tudjman in Zagreb abholen konnte. Karadzics wirkliche Domäne waren die Verhandlungen. Jeder Beschuss von Sarajevo oder Tuzla gab ihm das Stichwort zu wortreichem Einsatz. London und vor allem Genf waren sein Pflaster. Er empfing die Häupter der Londoner Jugoslawien-Konferenz, die Generäle der Friedenstruppen und schließlich, zu Weihnachten 1994, sogar den amerikanischen Ex-Präsidenten Jimmy Carter. Die internationalen Vermittler freuten sich über einen, mit dem sie verhandeln konnten, nicht ahnend, dass ihr Gesprächspartner nichts zu sagen hatte. Karadzic tarnte seine Ohnmacht und stellte alles Geschehene als sein Werk hin - und wenn es noch so schlimme Gräuel waren.

Keine Aufklärung. Dass Karadzic in Den Haag für Aufklärung sorgt und Mladic und Milosevic belastet, darf man nicht hoffen. Verurteilt wird er sowieso; denn trotz seiner Ohnmacht trug er als Präsident die Letztverantwortung - er hat sie ja stets gerne und wortreich übernommen. Vor Gericht steht er nun wieder im vertrauten Rampenlicht der Scheinwerfer aus aller Welt. Als Erstes hat Karadzic sich in der Haft das Haar schneiden und den Bart abnehmen lassen. Die Maske ist fertig; gespielt wird das alte Stück auf neuer Bühne.