Warum sind ausgerechnet die Österreicher die Europameister im EU-Frust?
JOHANNES VOGGENHUBER: Österreich hat Jahrzehnte in einer Falte des Eisernen Vorhangs verbracht. Man fühlte sich als Insel der Seligen und dachte, die Welt wolle von uns nichts als Gemütlichkeit und schöne Landschaft. Doch plötzlich erkennen wir, dass uns ein stürmisches Meer umgibt. Die Welt will, dass wir es befahren. Was aber macht die Politik? Die Politik verbarrikadiert sich auf der Insel und reagiert mit dem Rückzug in die Provinz. Sie erinnert mich an den Herrn Karl im Keller. Oben sind die Sirenen des Rettungswagens zu hören. Er aber sagt: "Karl, du bist es net."

Ist die Große Koalition an dieser Selbsttäuschung zerbrochen? VOGGENHUBER: Freud wurde nicht zufällig in Wien geboren. Österreich ist das Land der Verdrängung. Meister dieser Doppelbödigkeit war Wolfgang Schüssel. Von Montag bis Samstag hat er die EU zuhause schlecht geredet und das eigene Versagen auf Brüssel geschoben. Am Sonntag hat er sich bei "Sound of Europa" in den Hermelin des europäischen Fürsten gehüllt. Diese Saat geht nun auf. Wir haben es mit einem gekränkten Souverän zu tun. Mit ihrer Unterwerfung unter die "Kronen Zeitung" und ein rabiates Kleinbürgertum hat die SPÖ Europa nun überhaupt dem verzweifelten Versuch geopfert, ihre Macht zu erhalten.

Auch in Ihrer Partei ist es mit dem Europabewusstsein oft nicht sehr weit her.
VOGGENHUBER: Als Verantwortlicher für die Europapolitik bestreite ich das entschieden. Aber ich gebe Ihnen schon Recht. Leider agieren auch meine Parteifreunde zu oft unter der nationalen Dunstglocke. Auch bei vielen von ihnen ist Europa noch nicht in den Köpfen angekommen. Das gilt aber nicht für die Basis, noch weniger für unsere Wähler, sehr wohl aber für die Parteispitze.

Frustriert Sie das?
VOGGENHUBER: Es zermürbt. Man braucht auch Wind in den Segeln.

Vermissen Sie diesen Wind?
VOGGENHUBER: Die österreichische Innenpolitik ist eine 24-stündige Posse von Nestroy. Sie wird beherrscht von der Ängstlichkeit, sich den großen Herausforderungen der Zeit zu stellen. Dabei mangelt es gerade den Grünen nicht an tauglichen Konzepten. Ihre Schubladen quellen über über vor kühnen Projekten. Nur unterliegt man der fatalen Fehleinschätzung, dass eine Oppositionspartei sich nicht an der Durchsetzung ihrer Ideen messen lassen muss. Man wartet lieber im Wartezimmer der Regierung, bis man aufgerufen wird.