Alfred Gusenbauer ist "freundlich, sehr ehrgeizig, gepaart mit gesundem Egoismus, und ein flotter Arbeiter". Die Positionierung des Kanzlers in der geheimen Neuwahl-Strategie der SPÖ? Nein, diese Zeilen schrieb der Direktor der Volksschule im niederösterreichischen Ybbs dem "willigen Kind" ins Schülerstammblatt, damit der Sohn einer Putzfrau und eines Bauarbeiters aufs Gymnasium wechseln konnte. "Die Aggression gegen ihn ist auch ein Ressentiment gegen den Aufsteiger", analysiert Armin Thurnher, Ko-Autor des Buches "Die Wege entstehen im Gehen", einem langen Interview mit Gusenbauer, das im Czernin-Verlag erschienen ist. "Sein Stolz, es ins Kanzleramt geschafft zu haben, liegt seinen Gegnern im Magen", sagt Thurnher, "ist es mangelnde soziale Intelligenz oder Arroganz, dass er sie seinerseits seine Abneigung spüren lässt?"

Die rote Basis revoltiert. Aggressionen lassen ihn derzeit nicht nur Gegner spüren, auch die sogenannten Parteifreunde reagieren sich am Vorsitzenden ab. Zuletzt ließ ihm der Tiroler SPÖ-Chef Hannes Gschwentner ausrichten, wenn die Steuern 2009 nicht sinken würden, "braucht er beim Bundesparteitag im Herbst gar nicht mehr antreten". Gwschentner, selbst nicht rasend erfolgreich, hat im Juni eine Landtagswahl zu schlagen. Aber auch die Bürgermeister von Villach oder Salzburg maßregeln Gusenbauer öffentlich. Und der Wiener Michael Häupl, so erzählt man in der Hauptstadt, habe nur deshalb noch kein Machtwort gesprochen, weil er seit einer Woche mit Fieber im Bett liege. Seit acht Jahren, seit der Hinterbänkler aus dem Parlament zum Geschäftführer und gleich weiter zum Vorsitzenden befördert wurde, sitzt Gusenbauer jedes Jahr eine Obmanndebatten aus. Jetzt wird wieder gestritten: Soll man ihn aus der Zentrale in der Wiener Löwelstrasse schmeissen? Aus dem Kanzleramt? Oder ganz weg mit ihm?

Missgeschick. Diesmal hat er die Debatte selbst losgetreten, mit einem Missgeschick, das jedem passieren kann, einem Politiker aber nicht passieren darf. In Imst beschweren sich Tiroler Funktionäre bei Gusenbauer, dass im Bund nichts weiter gehe. Zurück in Wien trifft er bei einer Pressekonferenz seine Staatssekretärin Heidrun Silhavy, eine Steirerin. Da fällt ihm ein, dass er am Abend nach Donawitz muss, wieder eine Basis-Veranstaltung. Gusenbauer fragt Silhavy: "Wird das heute was G'scheites oder das übliche Gesudere?" Blöd, dass eine Kamera des ORF-Report die Szene unbemerkt filmt. Eine Woche später entschuldigt sich der Kanzler - meinetwegen. Ist er doch sozial unbedarft?

Latein. In der Volksschule macht Alfred freiwillig Fleißaufgaben, im Gymnasium steht er um vier Uhr auf, um Lateinvokabel zu strebern. Ließt er heute noch Latein? "Ab und zu", antwortet er. Und als Gymnasiast habe er die politische Wende in Frankreich prognostiziert. Sein erster Nachhilfeschüler ist der Bäckerssohn Wolfgang Pree, Deutsch und Englisch. "Auf Fredis Vorschlag", erinnert sich Pree, wurde bei guten Noten eine "Leistungsprämie" fällig, "und teils waren es auch Natural-Leistungen. Er hat unsere Schoko-Schnitten sehr geschätzt, mit, wie er gesagt hat, molto Schlagobers". Pree ist heute Uni-Professor für Informatik und hat sieben Bücher auf Englisch veröffentlicht. Vergangenen Jänner war der amerikanische Medientycoon Steve Forbes auf einem Kongress in Wien. Die heimischen Redner erfuhren erst an Ort und Stelle, dass sie, bitte, in Englisch vortragen mögen. "15 Minuten später hielt Gusenbauer eine wortwitzige, spannende Rede", erzählt eine Zuhörerin.