Meinungsforscher können grausam sein. In drei Jahren, seit der schwarz-blauen Regierungsbildung bis März 2006, wurden der SPÖ für die nächste Nationalratswahl zum Beispiel in 25 OGM-Umfragen zwischen 40 und 43 Prozent vorhergesagt. Das wären bis zu 500.000 Stimmen Vorsprung auf die ÖVP gewesen.

Rückstand. Der angeblich sichere Wahlsieg hat sich in einen Umfragerückstand von ein paar Hunderttausend Wählern verwandelt. "Danke, Helmut Elsner!", braucht Politikberater Dietmar Ecker - ehemals roter Wahlkampfstratege - für seine Erklärung nur drei Worten. Aus Sicht der ÖVP mit aufrichtiger Dankbarkeit, in der SPÖ-Rolle mit blankem Zynismus. Der Bawag-Krimi schließt den Wahlerfolg nicht aus, weil der Wähler ihn als Kriminalsache sieht. Diese Darstellung ist der SPÖ gelungen, doch wurde der Super-GAU zu spät erkannt, dass das wahre Problem ÖGB heißt. Zudem lieferte die Partei mit einer fragwürdigen Krisenkommunikation der Konkurrenz laufend Munition. Entweder müssen Freunde aus dem ÖGB Alfred Gusenbauer angelogen haben, dass sich die Balken biegen, oder er schätzte die Lage völlig falsch ein. Wieso konnte er am 5. April behaupten, der Schadensfall Bawag wäre im Jahr 2000 saniert worden?

Außenseiterrolle. Das Herbeireden einer Solidaritätsbewegung mag vor dem 1. Mai und seinen Feiern notwendig gewesen sein. Doch gerade SPÖ-Sympathisanten waren von der Affäre ehrlich betroffen, und wollten sich nicht ein Wir-Gefühl verordnen lassen. Das ist, als würde jemand krank werden, um als Medizin erklärt zu bekommen, dass es ihm besser als vorher geht. Patienten wechseln in so einem Fall den Arzt, Wähler ihre Partei. Das Umschwenken der SPÖ auf die Außenseiterrolle ist sinnvoller. Ab sofort kann man - wenn keine neuen Leichen im Bawag-ÖGB-Keller auftauchen und Selbstzerfleischung vermieden wird - in der veröffentlichten Meinung nur gewinnen. Statt einer zu starken Betonung des eigenen Machtanspruchs, wird vor der Allmacht der ÖVP gewarnt. Das ist insofern logisch, als kaum jemand infolge von Bawag-ÖGB sofort zum Fan der Regierung wird.

Frauen und Pensionisten. Gelingt es der SPÖ zu argumentieren, dass regierungskritische Stimmen allein für sie und nicht für Protestparteien Sinn machen, ist die Wahl unverändert gewinnbar. Die Schwierigkeit dabei: 2002 punktete die SPÖ unter Frauen, 2005 bei den Pensionisten. Frauen tendieren 2006 jedoch zu den Grünen, ältere Menschen sowie Arbeiter zur FPÖ und Hans-Peter Martin. Gehen im roten Abwehrkampf an diesen Flanken jeweils nur ein bis zwei Prozentpunkte Protestwähler verloren, ist das in Summe viel zu viel.

Gewinnthemen. Jenseits der Sonntagsfrage sind Umfragedaten über die wirtschaftliche und soziale Zufriedenheit der Österreicher keinesfalls so, dass die ÖVP unschlagbar wäre. Ganz im Gegenteil, diese muss noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Von der SPÖ wurden Arbeit, Bildung und Gesundheit als Gewinnthemen herausgefiltert. Jeder Wahlkampf ist ein Themenstreit, und geht es um die genannten Politikfelder, so profitieren Mitte-Links Parteien. Vor allem, wenn die Lage auf dem Arbeitsmarkt angespannt, Elisabeth Gehrer weiter das unpopulärste Regierungsmitglied, und das Gesundheitssystem von Milliardenausgaben und wenig beliebten Reformen bedroht ist.