Die ÖVP kann fast nur noch verlieren. In allen Umfragen wird sie als Erstplatzierter ausgewiesen, und bloß über die Größe des Vorsprungs debattiert. Die amerikanische Politikforschung behauptet, dass eine solche Führungsposition im Wahlkampf positive Folgewirkungen hat. Man hat ein starkes Image, wird als Verstärkereffekt von den Medien dafür anerkannt und bekommt einen zusätzlichen Mobilisierungsschub.

Gefahr. Trotzdem ergibt sich für die Nationalratswahl ein sehr gefährliches Erwartungsspiel. Rechnen ohnedies alle mit dem sicheren Sieg, lässt sich die Parteibasis nicht ausreichend motivieren. Politikbeobachter werden zudem jede Irritation im Wahlkampf schonungslos als Schwäche darstellen. Wer heute einen Triumph vorhersagt, wird beim kleinsten Rückfall im September von einem unerwarteten Versagen der Kanzlerpartei sprechen, um nicht die eigene Fehleinschätzung zuzugeben.

Deppen der Nation. Wendet sich in der Intensivphase das Meinungsbild zum Nachteil der ÖVP, so wären alle schwarzen Funktionäre erst recht demotiviert. Am 1. Oktober käme zur allfälligen Niederlage das Image, diese quasi als Wahlkampfdeppen der Nation zu erleiden. Das Siegerimage benötigt Schüssel freilich genauso nach dem Wahltag, um als logischer Kanzler dazustehen, wenn auch andere Koalitionsmehrheiten möglich sind. Im Vergleich zum Herbst 2005 sind das zugegeben Luxusprobleme. Nach den in der Steiermark vernichtenden und im Burgenland und Wien mittelprächtigen Landtagswahlen mussten Schüssel & Co. den eigenen Leuten den Glauben an den Sieg zurück geben. Das ist unter kräftiger Mithilfe von außen gelungen. Entscheidende Folge der Bawag-ÖGB-Affäre war, dass plötzlich unglaublich viele verunsicherte SPÖ-ler und jede Menge engagierter ÖVP-ler herumliefen.

Verluste. Umfragemäßig liegt jedoch die ÖVP klar hinter dem Ergebnis von 2002, während die SPÖ demgegenüber kaum verloren hat. Das Balkendiagramm im ORF wird demnach am Wahlabend für die ÖVP höchstwahrscheinlich nach unten zeigen. Eine knappe Absicherung des ersten Platzes muss dennoch nicht zwangsläufig für das Kanzleramt reichen. Wolfgang Schüssel, der sich 1999 als Dritter zum Kanzler machte, dürfte sich als Allerletzter beschweren, sollten SPÖ und Grüne jede noch so kleine Mandatsmehrheit zur Koalitionsbildung nützen.

Sieg nicht sicher. Hinzu kommt, dass in Wahrheit ein Sieg der ÖVP alles Andere als sicher ist. Jenseits von wenig aussagekräftigen Umfragen zeigen die Daten eine durchaus regierungskritische Stimmungslage. Dass die SPÖ bislang unfähig war, um eine Wechselstimmung auszulösen, liegt an Bawag und ÖGB und nicht an einer Unantastbarkeit der ÖVP-Politik. Der Volkspartei helfen momentan eine günstige Themenlandschaft von Wirtschaft bis Sicherheit sowie große Zweifel an der Tauglichkeit der SPÖ als Alternative. Themenbezogen hat man alles unternommen, um das ehrliche Bemühen um Jobs zu zeigen, trotzdem sind der Arbeitsmarkt und auch das Gesundheitssystem offene Flanken.

Mandate wackeln. In fast jedem Bundesland wackeln daher ein bis zwei Mandate der ÖVP. In der Steiermark etwa hat die SPÖ zuletzt abgebaut, so dass das Landtagswahlergebnis von knapp 40 Prozent für den ersten Platz reichen könnte. Doch was wäre dadurch gewonnen, wenn im Vergleich zur Nationalratswahl 2002 vier oder fünf Prozentpunkte fehlen? In Kärnten ist die ÖVP nach den Debakeln der vergangenen Landeswahlen kaum kampagnefähig und kann allein auf einen guten Bundestrend hoffen. Die 30 Prozent der Stimmen im Jahr 2002 sind derzeit sogar mit Fernglas außer Sichtweite.