Das Bild zeigt einen Enddreißiger, der auf einem zerschlissenen Berberteppich kauert. Ein schütterer Vollbart umrahmt sein kindliches Gesicht, seine Arme halten einen Teddybären in enger Umklammerung. Nasut Berisha wurde mit Downsyndrom geboren. Im Krieg verschleppt, fand er fern seiner 81-jährigen Mutter Asyl in einem mazedonischen Flüchtlingslager. Nach wenigen Wochen starb Nasut. "An gebrochenem Herzen", steht auf einer Begleittafel. Im Hintergrund ragen zerbombte Wohnhausruinen in den Himmel über Mostar. Wie stumme Ankläger.

Valentin Inzko hält die Eröffnungsrede zu der Fotoausstellung über Opfer der Balkankriege. "Diese Bilder", sagt der Kärntner in fließendem Bosnisch mit slowenischer Färbung, "handeln nicht von Politik. Sie handeln von Menschen."

Der Spitzendiplomat ist Hoher Repräsentant der Vereinten Nationen in Bosnien-Herzegowina. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird er der Letzte sein in einer Reihe von Statthaltern, die seit 15 Jahren versuchen, den Vielvölkerstaat zu einer stabilen Demokratie zu formen. "Mein Ziel ist es, mich selbst abzuschaffen", sagt Inzko. Einen Zeitplan gibt es freilich nicht.

Gerade im Vorfeld der Wahlen am Sonntag bricht vieles auf. Nicht nur, dass die einst reiche jugoslawische Teilrepublik wirtschaftlich am Boden liegt. Behördenwillkür geht Hand in Hand mit Korruption. Beides lähmt das Land und schreckt internationale Investoren ab.

Auch die Wunden des Völkermordes von Srebrenica sind noch lange nicht verheilt. Vor den Augen niederländischer UNO-Blauhelme wurden in dem Bergdorf 1995 fast 8000 Bosniaken von serbischen Milizionären hingemetzelt. "Ethnische Säuberung" lautete der Kampfbegriff derer, die die über Jahrhunderte gewachsene Durchmischung muslimischer Bosniaken, orthodoxer Serben und katholischer Kroaten mit Waffengewalt spalten wollten.

Eine Verstümmelung, der die Weltgemeinschaft mit dem Vertrag von Dayton hilflos Rechnung trug. Bosnien-Herzegowina wurde in zwei autonome Teilrepubliken aufgeteilt. Einen bosniakisch-kroatischen Teil und einen serbischen. Auch viele Gemeinden sind weitgehend unabhängig von der Zentralregierung in Sarajevo.

Ideologie ist Nebensache

Milorad Dodik, dem Premier der serbischen Teilrepublik, geht das nicht weit genug. Der bullige Populist reibt sich leidenschaftlich an Inzko, dem er vorwirft, einseitig für die Bosniaken Partei zu ergreifen. "Wir sind noch immer per Du", sagt Inzko vielsagend.

Inzko ist nicht Dodiks einziges Feindbild. Den Sozialdemokraten verbindet auch mit seinem bosniakischen Parteigenossen Zlatko Lagumdija eine innige Abneigung. Umfragen zufolge könnte der gemäßigte Linke die derzeit regierenden Konservativen am Sonntag vom Sockel stoßen. Dodik hat für diesen Fall eine Zusammenarbeit bereits ausgeschlossen. Die Gräben in Bosnien verlaufen entlang ethnischer Grenzen, nicht ideologischer.

Dodik, der von einem zweiten Serbenstaat träumt und den Massenmord in Srebrenica teilweise bestreitet, zeigt Inzkos Grenzen auf. Zwar könnte er seinen Widersacher absetzen: Die Befugnisse dazu hätte er. Praktisch würde dies aber den Widerstand seiner Auftraggeber provozieren. Vor allem Russland sieht sich weiterhin als Schutzmacht der serbischen Minderheit.

Einer seiner Vorgänger, der Brite Paddy Ashdown, hatte innerhalb eines Tages 59 Politiker handstreichartig entfernt. "Das gibt es heute nicht mehr", sagt Inzko. Immerhin: "Vor zwei Wochen habe ich eine Regionalregierung ihres Amtes enthoben." In der Vergangenheit hat er auch einige Polizisten gefeuert, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Bis zur gerichtlichen Klärung der Vorwürfe kann Inzko zudem ihre Pässe einziehen.

Zwei bis drei Leibwächter begleiten ihn auf Schritt und Tritt. Inzkos Dienstauto ist sicher wie ein Panzer: In Tests wurde es von 179 Gewehrkugeln und zwei Granaten beschossen. Keine einzige kam im Wageninneren an. "Nach schriftlichen Drohungen hatte ich eine Zeit lang Angst", sagt Inzko.

Die habe sich nun weitgehend gelegt. Zwanglos mischt er sich in der Altstadt von Mostar unter das Volk, plaudert mit Passanten. Schließlich steuert er auf ein Lokal zu, grüßt den Kellner und bestellt eine Cola. Seine Leibwächter schirmen den Eingang ab. Im Alltag berge das Zusammenleben kaum Spannungen, beteuert Inzko. Das zeigt sich vor allem in Sarajevo, der pulsierenden Metropole, die er von seinem Büro im vierten Stock aus überblickt.