Nach zwei blutigen Tagen und Nächten begann der Sonntag in Bangkok zunächst ruhig. Ausnahmsweise war der Monsun-Donner zu hören, nicht nur Gewehrfeuer und Explosionen. Doch das änderte sich im Laufe des Vormittags, als ein brandschatzender wütender Mob begann, Geschäfte zu plündern und Straßenbarrikaden zu errichten. Scharfschützen der Armee gingen in Stellung und feuerten horizontal auf die hinter brennenden Reifen verbarrikadierten roten Milizionäre. Im Internet kursierten Fotos von paramilitärischen Roten mit Gewehren. Die vorläufige Bilanz der Kämpfe: mindestens 29 Tote und mehr als 220 Verletzte.

Während ganze Straßenzüge im Zentrum der 15-Millionen-Metropole einer Kriegszone glichen, meldeten die Einkaufszentren in Außenbezirken gute Geschäfte. Der Grund: Anwohner deckten sich mit Vorräten ein. Thailands Regierung erklärte Montag und Dienstag zu Ruhetagen in Bangkok, damit die Streitkräfte leichter operieren können. Eine geplante nächtliche Ausgangssperre blies die Regierung nach Beratungen mit dem Militär am Sonntag indes ab. Dies sei noch nicht nötig, sagte eine Sprecherin, die Sicherheitskräfte hätten die Lage unter Kontrolle, die erstmals gemeinsam auftraten, um Gerüchte einer Spaltung zu demontieren. Stattdessen dehnte Ministerpräsident Abhisit Vejjajiva aus Sorge vor einer Ausweitung der Unruhen den Notstand auf fünf weitere Provinzen aus. Neben der Hauptstadt gilt er damit für insgesamt 17 Provinzen, was ungefähr einem Viertel der Verwaltungsbezirke entspricht. Davon liegen die meisten im Nordosten des Landes, der als Hochburg der roten Regierungsgegner gilt.

Das Geschäftsviertel Ratchaprasong im Zentrum Bangkoks wird noch immer von mindestens 5000 Rothemden besetzt gehalten, darunter sind Frauen und Kinder. Die Anhänger des 2006 gestürzten Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra fordern Neuwahlen. Vermittlungsgespräche mit Regierungschef Abhisit waren vor einigen Tagen gescheitert. Seit Donnerstag versucht die Armee, die Demonstranten abzuriegeln und von der Versorgung abzuschneiden. In dem besetzten Viertel gingen am Wochenende Lebensmittel, Wasser und Benzin zur Neige. Die Demonstranten erklärten aber, noch genügend Vorräte zur Fortsetzung der Proteste um mehrere Tage zu besitzen.

Angesichts der steigenden Opferzahlen forderte die Protestbewegung ein Ende der Militäroperationen sowie eine Vermittlung durch die Vereinten Nationen. Dann werde man verhandeln, kündigte der Sprecher der Rothemden, Nattawut Saikua, an. Doch die Regierung lehnte die Forderungen ab. Stattdessen fror sie die Konten von 106 Firmen und Privatpersonen ein, über die der Protest angeblich finanziert wird. Darunter sind auch Konten der Familie von Thaksin Shinawatra dem exilierten Defacto-Führer der Roten. Am Wochenende schaltete sich UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in den Konflikt ein und rief beide Seiten zu einer Rückkehr an den Verhandlungstisch auf. Er beobachte die Zusammenstöße mit wachsender Sorge, erklärte Ban. Wie die USA riet auch Deutschland seinen Bürgern dringend von Reisen nach Bangkok ab. Die deutsche Botschaft schloss wegen der Unruhen für den Publikumsverkehr. Für Notfälle wurde ein Konsulardienst in der französischen Botschaft eingerichtet. Auch Österreich erwägt die Schließung seiner Botschaft am Montagmorgen, sollte sich die Lage über Nacht dramatisch zuspitzen, sagte Außenministeriums-Sprecher Peter Launsky-Tieffenthal der Kleinen Zeitung. Österreicher in Thailand können aber auch in diesem Fall die Botschaftsangehörigen im Notfall über Telefon erreichen.

Auf ein Machtwort des Königs wartet die Nation weiter vergeblich

800 Frauen und Kinder zogen sich in die angrenzenden Tempelanlagen von Pathum Wanaram zurück. Die Behörden stellen Busse bereit, um Menschen nach Hause zu bringen. Ein harter Kern an Rothemden bleibt in der besetzten Zone verbarrikadiert. Gestern schienen sie die Erstürmung durch Truppen zu proben. Laut schreiend stoben sie auf Kommando in alle Himmelsrichtungen auseinander. Unterdessen verschärfte die Armee die Kontrollen an den Zufahrtswegen zu der besetzten Zone. Wer das Gebiet verlassen wollte, wurde in Sicherheit gebracht. Hinein gelangte jedoch niemand mehr. Weng Tojirakarn, der ideologischer Führer der Roten, schwor seine Leute auf Widerstand ein. Man führe einen friedlichen Kampf. Die Regierung habe den Weg zu Bürgerkrieg eingeschlagen. Gleichzeitig rüstet sich der radikale Flügel der Roten, der bereits mit M-16-Gewehren und M-79-Granatwerfern ausgerüstet ist. Selbst an Taxifahrer wurden Feuerwaffen verteilt. Anwohner ganzer Straßenzüge können ihre Wohnungen kaum mehr verlassen. Ladenbesitzer im Suan Lum Nachtbasar, einem sonst beliebten Touristenziel, sitzen seit Freitag fest. "Uns geht das Essen aus", sagte ein Händler. Er habe "noch etwas Reis und Eier. "Holt uns hier raus."

In einer Fernsehrede an die Nation hatte Regierungschef Abhisit Vejjajiva am Samstag bekräftigt, dass die Militäroperation weitergehe. Thailand drohe ein Bürgerkrieg. Man dürfe der Gewalt der Straße nicht nachgeben, der Rechtsstaat müsse verteidigt werden. Und während sich die Roten zunehmend radikalisieren, wächst der Unmut der Bevölkerung. Nach einer Umfrage unterstützen 51 Prozent der Befragten Abhisits harte Linie. Am Samstag kam es zu ersten Attacken ziviler Bürgerwehren auf Rote, was die Regierung "nicht-militärische Operationen" nannte. Doch trotz aller Gewalt, gehen auch viele Bangkoker erstaunlich unbeeindruckt ihren täglichen Geschäften nach. Man meidet die Innenstadt. Die Hoch- und U-Bahn haben den Betrieb eingestellt, doch in der übrigen Stadt kriechen die üblichen Blechlawinen. Ab den Nachmittagsstunden verwandeln sich ganze Straßenzüge in offene Küchen. Die Gestelle in Supermärkten sind weiterhin gefüllt, Sportklubs veranstalteten am Wochenende ihre Turniere. Auf Baustellen wird weiter gearbeitet, das Staatsfernsehen strahlt ungerührt Seifenopern aus.

Auf ein Machtwort des Königs wartet die Nation weiter vergeblich. Dabei ist unklar, ob der alte Monarch Bhumibol Adulyadej überhaupt noch seinen früheren Einfluss besitzt, als allein sein Flüstern der Gewalt ein Ende setzen konnte. Offiziell geben sich die Roten als treue Monarchisten. Im vertraulichen Gespräch wird jedoch schnell klar, dass hier nicht nur der Sturz der "ammart" angestrebt wird, der Aristokratie. Thailand hat die wohl schärfsten Gesetze der Welt bei Majestätsbeleidigung. Ein falsches Wort kann zu 15 Jahren Gefängnis führen. Unter diesem Schutz hat sich über die Jahrzehnte eine Elite an Königstreuen, Bürokraten und Militärs an der Landesspitze eingenistet, die sich als Staat über dem Staat versteht. Zwar ist eine solch unangreifbare Elite nichts Ungewöhnliches in der Region. Doch der 2006 gestürzte Altpremier Thaksin hatte es gewagt, diese Elite herauszufordern. Er besetzte Schlüsselinstitutionen mit eigenen Leuten und zog alle Entscheidungsgewalt an sich.

Nach außen fordern die Roten den König nicht heraus. Aber möglicherweise kann die Krone heute anders als früher keine vermittelnde Rolle mehr wahrnehmen. Der 82-jährige Monarch weiß um das Risiko, dass womöglich nicht mehr auf ihn gehört würde. Wie aus seinem Umfeld verlautete, ist das der Grund, weshalb der König schweigt.