Herr Fischer, wie ernst ist die Lage in Europa angesichts des griechischen Fiaskos?

FRANZ FISCHLER: Die Lage ist sehr ernst. Europa kann sich keine zweite Krise leisten, ich meine, die Krise der beiden letzten Jahre.

Steht der Euro auf des Messers Schneide?

FISCHLER: Das glaube ich nicht.

Wenn die griechische Euro-Krise auf Portugal oder Spanien überspringt?

FISCHLER: Wenn das passiert, brennt Europa. Dann wird die Situation nicht mehr zu meistern sein. Dann zerbricht der Euro.

Wie groß ist diese Gefahr?

FISCHLER: Dass dasselbe in Spanien und Portugal passiert, diese Gefahr ist nicht groß. Spanien ist nicht Griechenland. Aber Garantie kann ich keine abgeben.

War es ein Fehler Griechenland aufzunehmen?

FISCHLER: Hätte man Griechenland nicht aufgenommen, hätte sich die Osterweiterung um Jahre verzögert. Politische Überlegungen gaben den Ausschlag.

Hätte man wirtschaftliche Vernunft walten lassen sollen?

FISCHLER: In der Geburtsstunde des Euro waren alle Wirtschaftsdaten enorm positiv. Niemand hat sich eine solche Krise ausmalen können. Allen war auch klar, wenn ich eine gemeinsame Währung schaffe, gebe ich das wirtschaftspolitische Instrument des Auf- und Abwertens aus der Hand. Damals ging man das Risiko ein, weil man glaubte, es werde keine vergleichbare Krise wie in den dreißiger Jahren geben.

Ist es nicht fatal, dass die Griechen nicht abwerten können?

FISCHLER: Ich warne davor, jetzt die Griechen aus dem Euro hinauszuwerfen. Die Folge wäre, dass gegen die Wiedereinführung der Drachme massiv spekuliert wird. Griechenland wäre komplett ruiniert, dann müssten wir erst recht den Griechen finanziell unter die Arme greifen.

Gibt es beim Euro einen Konstruktionsfehler?

FISCHLER: Es gibt zwei Konstruktionsfehler. Man war so auf den Stabilitätspakt fokussiert, dass man sich zu wenig um die Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik gekümmert hat. Das zweite Problem sind die Tricksereien der Griechen. Mehr Transparenz wäre nötig gewesen.

Länder wie Deutschland und Österreich, die das jetzt einfordern, waren früher immer dagegen mit dem Argument, Brüssel soll sich nicht zu viel einmischen?

FISCHLER: Es ist schon eine gewisse Ironie, dass jene, die die Warntafeln aufgestellt haben, jetzt meinen, Warntafeln genügen nicht, man muss auch das Recht haben, Geisterfahrer abzustrafen.

Was soll konkret getan werden?

FISCHLER: Dass sich die Regierungschefs einmal im Monat treffen, umdie Wirtschaftspolitik zu koordinieren, wie von EU-Präsident Rompuy vorgeschlagen, ist eine zahnlose, weil sanktionslose Angelegenheit. Ich halte auch nichts von einem neuen EU-Vertrag. Das dauert Jahre, und wer weiß, ob ein neuer Vertrag überhaupt gelingt?

Was dann?

FISCHLER: Man muss neue Gemeinschaftsregeln entwickeln. Da müssen die Regierungschefs jetzt Dampf machen. In Hinkunft sollten die Länder fortlaufend Bericht erstatten, um frühzeitig zu wissen, was sie genau planen. Wenn sich etwas in eine falsche Richtung entwickelt, muss man Einfluss nehmen können. Wer die Spielregeln verletzt, wird mit finanziellen Sanktionen belegt. Man muss einen Sanktionsmechanismus schaffen, das regelmäßige Abendessen der Regierungschefs reicht nicht aus.

Als Agrarkommissar kennen Sie die Griechen gut. Welche Erfahrungen haben sie gemacht?

FISCHLER: Die Griechen haben in der Regel zwei bis drei Milliarden Euro an Agrargeldern pro Jahr gar nicht abgeholt wegen der Unfähigkeit der Behörden. Statt die Verwaltung auf Vordermann zu bringen, haben sie lieber auf das Geld verzichtet. Das wirft schon ein gewisses Bild auf die Zustände. Auch haben sie in den ersten zwanzig Jahren ihrer Mitgliedschaft keinen Grundkataster gehabt. Als Agrarkommissar hatte ich aber die Möglichkeit, Gelder, die nicht ordentlich verwendet werden, zurückzufordern, indem man die Summe im nächsten Jahr einbehält.

Was sagen Sie einem Österreicher, der die Hände über dem Kopf zusammenschlägt wegen der Milliarden-Hilfe?

FISCHLER: Österreich schickt nicht zwei Milliarden Euro nach Griechenland, sondern übernimmt Garantien. Wenn Griechenland nicht vor die Hunde geht, bekommen wir einen größeren Teil wahrscheinlich sogar zurück.