Noch einmal hat Gordon Brown einen großen Auftritt. In Manchester steht er vor dem Bild eines sonnigen Getreidefelds und zählt die Leistungen Labours in 13 Jahren auf. "Mindestlohn, kostenloses Fernsehen für Rentner, volle Rechte für Teilzeitarbeiter." Die Menschen jubeln. "Unterzeichnung der Sozialcharta, Mutterschaftsurlaub, Verbot der Diskriminierung von Behinderten." Brown muss nun fast brüllen, um das Klatschen und Johlen der Anhänger zu übertönen. "Gleichheitsgesetz, der erste schwarze Kabinettsminister, Schwulenadoption, ein schottisches Parlament, das Klimaschutzgesetz, Frieden in Nordirland."

Über fünf Minuten lang ist die Liste, die er längst auswendig kann. Man spürt seinen Stolz. Aber der Auftritt ist auch schon Rückblick und Abschied. Brown kämpft, als ginge es um sein Leben. In letzter Minute will er die Wahl noch herumreißen, "nicht für mich, sondern für Großbritannien", ruft er. Aber ein paar Stunden zuvor hat er in einem Interview zum ersten Mal zugegeben, dass Labour die Unterhauswahl verlieren könnte. Er und seine Frau Sarah könnten für die Wohlfahrt arbeiten, sinniert er. Eine Businesskarriere, wie Tony Blair sie jetzt verfolgt, interessiert ihn nicht.

Umfragen zeigen, warum er so pessimistisch ist: Die Liberaldemokraten fallen zurück, der Jubel um Parteichef Nick Clegg lässt nach, aber nicht Labour, sondern die Tories profitieren davon. Die Wahl steht auf der Kippe. Aber Labour rechnet hinter den Kulissen mit dem schlimmsten Debakel seit 1983. In der Parteizentrale an der Victoria Street denken viele schon an neue Jobs.

20 Jahre bei Labour vorne

Zwei Jahrzehnte stand Brown ganz vorne bei Labour. 1994 schloss er den denkwürdigen Pakt mit Tony Blair im Restaurant Granita. Brown überließ ihm das Amt des Parteichefs und Premiers, bedingte sich dafür aber die Führungsrolle in der Wirtschafts- und Sozialpolitik aus. Das wurde für die Geschichte "New Labours" viel wichtiger als das Versprechen Blairs, später das Amt an Brown abzutreten.

Brown wurde der mächtigste Schatzkanzler der Geschichte. Aus dem Schatzamt regierte er, oft über den Kopf von Blair, in alle möglichen Ressorts hinein. Er bastelte an einem immer komplexeren Sozialhilfesystem, blockierte Bildungsreformen und diktierte den Gesundheitsministern ihre Politik. Als der höchste Staatsbeamte, Lord Turnbull, von Browns "stalinistischer Rücksichtslosigkeit" sprach, hatte er seinen Spitznamen weg: Stalin.

Browns große Leistung war, dass er 2001 die Staatskasse aufmachte. Die Tories hatten die Infrastruktur und die öffentlichen Einrichtungen vernachlässigt. Großbritannien war berühmt für undichte Schuldächer, in den Krankenhäusern standen Betten auf den Fluren. Bis dahin hatte sich Brown an die Haushaltspläne der Tory-Vorgängerregierung gehalten und das in der Rezession aufgehäufte Defizit abgebaut. Es gab einen Haushaltsüberschuss von 17 Milliarden Pfund.

Leben auf Pump

Brown begann, Geld auszugeben. Billige China-Importe hielten Inflation und Zinsen niedrig, Immobilien wurden teurer und wer eine besaß, fühlte sich reich. Wie die Haushalte begann auch der Staat auf Pump zu leben. "Wir haben den Wirtschaftszyklus abgeschafft", behauptete Brown. Labour verdoppelte die Nettoverschuldung bis zum Beginn der Finanzkrise. 2015 wird sie sich noch einmal verdoppeln. Die Briten haben ein Defizit von mehr als elf Prozent, fast wie Griechenland. Unter Brown lebte das Land über seine Verhältnisse und ist nun beinahe bankrott.

Labour wird nicht nur wegen der Schuldenmisere kritisiert. Mit dem Geld mischte sich der Staat in immer mehr Aktivitäten ein. Überall gab es zu viel Regulierung. Jeder Schuldirektor erhält im Jahr 4000 E-Mails mit Anweisungen aus dem Ministerium. Der Staat kontrolliert 48 Prozent des Wirtschaftsgeschehens. Sogar Brown gibt zu, dass dies zurückgefahren werden muss.

Brown wurde respektiert. Beliebt war er jedoch nie. Parteifreunde zettelten in den letzten drei Jahren drei Putschversuche gegen ihn an. Die TV-Debatten, klagte er, hätten aus dem Wahlkampf eine Talentshow wie "X-Faktor" gemacht. Aber die Briten wissen, dass Mangel an Charme nicht Browns einziger Fehler ist. Die wenigsten glauben, dass der Mann, der den Schlamassel angerichtet hat, der Richtige wäre, ihn aufzuräumen. Wenn Brown verliert, ist er einer der wenigen, die Großbritannien regiert und nie eine Wahl gewonnen haben.