Harsany, zwei Zugstunden von Budapest entfernt. Hier gibt es beim Bahnhof einen Lidl, eine Therme und viel Landschaft. In Harsany wohnen 2600 Menschen, davon 300 Roma, also Angehörige jener Minderheit, die seit dem Aufstieg der rechtsradikalen Jobbik Tag für Tag am Pranger stehen. Als Kriminelle, Parasiten, Sozialschmarotzer.

Jeder kennt jeden in Harsany, und Slabocs kannte den Angreifer. "Ich war mit meinem Cousin auf dem Weg ins Klubhaus, er kam auf der anderen Straßenseite daher. Er beschimpfte uns als Zigeuner. Was willst du, fragten wir ihn." Was der andere wollte, war klar: Schon vor Wochen hatte er Slabocs im Bus mit dem Umbringen gedroht - weil dieser zu laut Musik hörte. Schon seit Wochen läuft der andere, ein Jobbik-Unterstützer, mit schwarzer Uniform und Springerstiefeln herum.

Am 11. März schließlich schoss er - mit seiner Gaspistole, aus kurzer Entfernung - Slabocs ins Gesicht. "Ich konnte nichts mehr sehen und nichts mehr hören", sagt er, "mein linkes Auge war verletzt". Die Polizei habe ihm dennoch nicht geglaubt, "wir werden dir zeigen, was ein Gasangriff ist", hätten sie gesagt.

Slabocs geht dem Typen jetzt aus dem Weg, er hat Angst vor ihm. Zu große Schlüsse ziehen aus seinem Erlebnis will er dennoch nicht: "Wir kommen hier gut aus mit den Nicht-Roma", sagt er. "Wir feiern zusammen Partys, es gibt gemischte Paare." Jobbik sei aber nicht gut für die Stimmung. Entgegen der Radikalen-Hetze lebt er nicht von Sozialhilfe, sondern arbeitet in einer Elektronikfirma. Wählen wird er am Sonntag die Fidesz: "Die schaffen am ehesten bessere Arbeitsplätze. Und je mehr Mandate Orban hat, umso weniger bekommen die Rechtsradikalen".

Gewalt gegen Roma, damit machte Ungarn in den letzten Jahren Schlagzeilen. Innerhalb von eineinhalb Jahren wurden sechs Roma ermordet, darunter ein fünfjähriges Kind. Die Täter sind inzwischen gefasst, ihre Angriffe erfolgten nach dem immer gleichen Muster: Sie kamen nachts mit schwarzen Jeeps, warfen Brandbomben auf das letzte Haus am Rand des Dorfes. Sobald die Bewohner auf die Straße flüchteten, wurden sie erschossen. Vier Männer wurden festgenommen, Radikale mit Nazi-Tätowierungen.

Alltagsgewalt geht weiter

Zumindest diese geplante, tödliche Gewalt gab es seit damals nicht mehr; die spontane Alltagsgewalt geht weiter. Seit 2006 wütende Roma einen Lehrer zu Tode prügelten, der ein Roma-Kind mit dem Auto angefahren hatte, sehen sich die Rechtsradikalen in ihrer Hetze bestätigt.

Felix Farkas, Roma-Politiker, macht deshalb die Politik verantwortlich: "Jobbik schürt einen künstlichen Konflikt, ein Klima, in dem wir Roma zu Sündenböcken werden." Obwohl man auf der persönlichen Ebene meistens gut miteinander auskomme, gebe es im politischen Diskurs und in den Medien immer schärfere Anti-Roma-Tiraden, die letztendlich Zwischenfälle wie jenen mit der Gaspistole begünstigten. Schuld sei vor allem wachsende Arbeitslosigkeit. "Wir Roma kennen das schon lange", sagt Farkas. "Doch jetzt werden auch die Nicht-Roma arbeitslos, kriegen genauso niedrige Sozialhilfe wie wir, und wir sind schuld."

Tatsächlich sind 60 Prozent der Roma ohne Job, in einzelnen Dörfern bis zu 100 Prozent. Das Problem spitzte sich seit 1989 zu: Herrschte im Kommunismus auch unter den Roma zumindest auf dem Papier noch Vollbeschäftigung, waren sie nach der Wende die Ersten, die gekündigt wurden. Langzeitarbeitslosigkeit, Ghetto-Bildung, Hoffnungslosigkeit - nur rund ein Prozent der Roma verfügt über höhere Bildung.

Laszlo Agod ist Jobbik-Gründer in Harsany. Sein gepflegtes, zitronengelbes Haus mit Seeblick ist in dem kargen Dorf leicht zu erkennen. "Ja, der Bursche mit der Gaspistole ist Jobbik-Mitglied, aber ich kann nicht alle an der Hand halten", sagt der Ex-Polizist. "Ein echter ungarischer Bursche, mit echten nationalen Gefühlen." Er habe ihn nach dem Zwischenfall angerufen und gehört, die Roma hätten ihn angegriffen. Also solle man die Ermittlungen der Polizei abwarten.