Mit den weltgrößten Devisenreserven fungiert China als Hausbank und größter Kreditgeber der hoch verschuldeten, angeschlagenen USA. Während die Bedeutung der letzten verbliebenen Supermacht USA abnimmt, steigt China zum gewichtigen Mitspieler auf der Weltbühne auf - ist heute so stark wie nie zuvor. Mit dem ersten Test eines Raketenabwehrsystems am Montag unterstrich China jetzt noch seine gewachsene militärische Stärke.

Macht hat sich verschoben

Das gewachsene Selbstbewusstsein der chinesischen Führer beruht darauf, dass die globale Wirtschaftskrise die Machtkonstellationen in der Welt zugunsten Chinas verschoben hat. Mit einem eindrucksvollen Wachstum von acht Prozent erweist sich die Volksrepublik - trotz eigener Probleme - als Lokomotive der Weltkonjunktur. "Es ist ganz offensichtlich: China ist ein aufstrebendes Land, während die Macht der USA relativ gesehen abnimmt", stellt die Forscherin Yu Yingli vom Shanghaier Institut für Internationale Studien fest. "Die Fähigkeit der USA, die Führungsrolle in der Welt zu übernehmen, wird zunehmend schwächer".

US-Präsident Barack Obama betont selbst, dass die großen Probleme der Welt - der Atomstreit mit dem Iran und mit Nordkorea, die globale Wirtschaftskrise oder der Klimaschutz - nicht ohne die Kooperation Chinas gelöst werden können. Der gescheiterte Klimagipfel in Kopenhagen offenbarte aber den Widerspruch, der Chinas Aufstieg begleitet: Einerseits tritt der größte Treibhausgasproduzent allein durch seine schiere Größe als große Macht auf, lehnt andererseits aber die besondere Verantwortung ab, die diese Rolle mit sich bringt.

Alle Welt blickt auf China - das verleiht dem Reich der Mitte schon durch seine Erwartungshaltung die Aura einer Großmacht. Doch von der viel diskutierten "Gruppe der Zwei" (G2), einer Partnerschaft mit den USA zur Lösung globaler Herausforderungen, hält Chinas Führung nicht viel. Als größtes Entwicklungsland - mit zehn Prozent seiner 1,3 Milliarden zählenden Bevölkerung noch in Armut - habe das Land selbst genug Probleme zu lösen, argumentiert Premierminister Wen Jiabao. Denn selbst wenn China bald zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt sein mag, reicht es bei einer Pro-Kopf-Bemessung der Wirtschaftsleistung nicht einmal für Platz 100.

Andererseits lässt die kommunistische Führung die neu gewonnenen Muskeln gerne spielen, wenn es um ihre "Kern-Interessen" geht: Die wirtschaftliche Entwicklung und die Wahrung der territorialen Integrität - in Tibet, Xinjiang (Sinkiang), Taiwan und im Streit mit Nachbarn um strittige Inseln und Rohstoffvorkommen. In der Gruppe der 20 führenden Wirtschaftsnationen (G-20), die durch die Wirtschaftskrise an Bedeutung gewonnen hat, spielt China ebenso eine führende Rolle wie in der Welthandelsrunde. Protektionistische Maßnahmen anderer Länder beantwortet China selbstbewusst mit eigenen Handelssanktionen.

Was noch fehlt

China mausert sich, doch zur Supermacht fehlt noch einiges, wie Experten argumentieren. Anders als die USA könne es etwa sein Militär nicht beliebig an anderen Orten der Welt einsetzen, auch wenn es die USA atomar bedrohen oder seine Nachbarn einschüchtern kann. Auch seien seine Diplomaten Befehlsempfänger, ohne Verhandlungsspielraum und kaum gewohnt, Verantwortung zu übernehmen. Das größte Manko liege aber im Inneren: Die kommunistische Ein-Partei-Diktatur werde nur durch den Erfolg seiner Wirtschaft und den wachsenden Wohlstand getragen, stütze sich sonst auf die Unterdrückung von Kritikern. Die "Rotchina AG" sei zwar wirtschaftlich erfolgreich, aber ideologisch bankrott. Dem politischen System fehle jede Anziehungskraft.

"Die Ausübung von Macht muss durch Ideen und Visionen fundiert sein, die universell attraktiv sind", schrieb Professor Minxin Pei für die US-Denkfabrik Carnegie Endowment in einem Aufsatz unter dem Titel: "China ist keine Supermacht". Chinas Führer seien sich der Grenzen ihrer Macht nur zu gut bewusst. Sie verhielten sich deswegen äußerst vorsichtig und schreckten vor internationalen Verpflichtungen zurück. "Während China immer einen Platz auf der Weltbühne haben wird, wird seine Bereitschaft und Fähigkeit, eine Führungsrolle zu spielen, höchstwahrscheinlich jene enttäuschen, die von China erwarten, sich wie eine Supermacht zu benehmen".