Die meisten Teilnehmer fordern vor allem das Recht auf faire und freie Wahlen ein. "Das sind Bürger, die Forderungen stellen, aber die Machthaber nicht auswechseln wollen", sagt der Politologe Michail Remisow.

Und Putin verspricht, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen. Er strebt nach der umstrittenen Dumawahl nun bei der Präsidentenwahl am 4. März 2012 zurück in den Kreml. Eine Alternative zu Russlands starkem Mann ist nach Ansicht von Beobachtern nicht in Sicht.

"Ob es einem gefällt oder nicht, Putin ist im Moment der einzige, der diese nicht effektive Staatsmaschine irgendwie steuern kann", schreibt der Oligarch Michail Prochorow in seinem Internet-Blog. In der Tat stellt sich die Frage nach glaubhaften Herausforderern.

Immer wieder fällt der Name des prominenten Bloggers Alexej Nawalny. Er prägte das schon geflügelte Wort der "Partei der Diebe und Gauner" über Putins Hausmacht Geeintes Russland und beschwor bereits das politische Ende des Ex-Geheimdienstchefs. Doch er gilt nicht als einigender Kandidat - auch wegen seiner oft nationalistischen Forderungen .

Milliardär Prochorow warnt - wie so viele und über fast alle gesellschaftlichen Schichten hinweg - vor einem gewaltsamen Umsturz in der Atom- und Energiegroßmacht Russland. "Revolutionen in Russland haben immer zu menschlichen Opfern und einer Verschlechterung des Lebens geführt", mahnte der unlängst als Parteichef des Kremlprojekts Gerechte Sache Gescheiterte. Die liberale Jabloko-Partei, die bei der Duma-Wahl die Sieben-Prozent-Hürde verfehlte, sieht das ähnlich. "Für uns sind revolutionäre Handlungen nicht annehmbar. Wir sind für eine allmähliche Entwicklung", sagte Jabloko-Chef Grigori Jawlinski.

Experten schätzen, dass die zum Sieger gekürte Putin-Partei Geeintes Russland im besten Fall 30 Prozent der Stimmen erhalten hätte bei der Abstimmung am Sonntag vor einer Woche - und nicht knapp 50 Prozent, wie offiziell verkündet. Der Moskauer Politologe Gennadi Burbulis wittert eine explosive Stimmung in der Bevölkerung, weil sich zu viele Wähler ihrer Stimme beraubt sehen. Das habe viele tief in ihrem Stolz, ihrer Menschenwürde und ihrer Seele verletzt.

Diese Störung des Selbstwertgefühls in der russischen Gesellschaft berge die Gefahr eines Zusammenbruchs des Systems, sagt der Direktor des humanitären und politologischen Zentrums "Strategie". "Die Gefahr (eines Kollapses) wird umso größer, je mehr das politische System ein falsches Verständnis von einem starken Staat an den Tag legt", betonte Burbulis vor Journalisten. Dem seit 2000 regierenden Putin bleibe unter diesen Umständen nichts anderes übrig, als an einer grundlegenden Modernisierung des Landes zu arbeiten.

Mit Sorge und Verwunderung sehen Kommentatoren allerdings, dass erstmals überhaupt auch Vertreter der Mittelschicht - "die gut angezogenen Leute mit Smartphone" - auf die Straße gehen. Dieser auf rund ein Drittel der Bevölkerung geschätzte Anteil findet sich in der vom Kreml gesteuerten Parteienlandschaft bis heute von keiner politischen Kraft vertreten, wie Experten betonen. Wohl auch deshalb regte Kreml-Chefideologe Wladislaw Surkow schon kurz nach der Wahl die Gründung einer regierungsnahen liberalen Partei an.

Finanzanalysten warnen bereits vor wirtschaftlichen Folgen der aktuellen Lage. Russland gilt trotz seiner großen Währungsreserven weiter als extrem abhängig von ausländischen Investitionen, um die oft sowjetisch rückständige Wirtschaft zu erneuern. Ein instabiles Russland könnte westliche Investoren verprellen und berge das Risiko eines noch größeren Kapitalabflusses, wie die Moskauer Zeitung "Wedomosti" schreibt. Allerdings halten sich in Wirtschaftskreisen auch Zweifel, ob Putin die nötigen Reformen umsetzen kann.