Sie wurden am Freitag mit dem Grawe-Award für Ihre Forschungsarbeit ausgezeichnet. In Ihrer Studie über soziale Fairness haben Sie letztes Jahr festgestellt, dass es sich für Familien mit einem Bruttoeinkommen zwischen 1.800 Euro und 3.000 Euro nicht lohnt, mehr zu verdienen. Bleiben Sie bei diesem Befund?

FRANZ PRETTENTHALER: Ja, unbedingt. Es gab zwar Verbesserungen, aber die Grundsituation ist gleich geblieben. Es bringt einer Familie mit drei Kindern nichts, wenn sie das Bruttoeinkommen von 1.600 Euro auf 2.800 Euro steigert. Das verfügbare Haushaltseinkommen bleibt dennoch gleich, weil durch das erhöhte Einkommen Transferleistungen gestrichen werden und dann auch die volle Steuerbelastung zum Tragen kommt.

Welche Transfers werden gestrichen?

PRETTENTHALER: Die Wohnbeihilfe wird ausgeschliffen, die Studentenbeihilfe läuft aus, die Rezeptgebührenbefreiung.

Es fehlen die Anreize, mehr zu verdienen, weil dies die Streichung von Transferleistungen für Familien zur Folge hat?

PRETTENTHALER: Ja, das System zementiert Armut ein.

Was wäre ein Gebot der Stunde?

PRETTENTHALER: Es müsste wenigstens das Existenzminimum der Kinder in Form von Steuerfreibeträgen steuerfrei gestellt werden. Derzeit beträgt der Steuerfreibetrag 220 Euro im Jahr, eine Verzehnfachung wäre angebracht.

Weil der Aufwand für Kinder derzeit durch die Familienbeihilfe und andere Transfers nicht zur Gänze berücksichtigt wird?

PRETTENTHALER: Ja, die direkten Transferzahlungen sind nicht auf die tatsächlichen Kinderbetreuungskosten abgestellt.

Sie werfen der Familienpolitik vor, beim horizontalen finanziellen Ausgleich zwischen Familien mit Kindern und kinderlosen Familien völlig zu scheitern. Was antworten Sie Kinderlosen, die darauf verweisen, dass sie von den Kindergärten beginnend ohnehin für Familien mit Kindern überall mitzahlen?

PRETTENTHALER: Was Kinderlose an Pensionen erhalten werden, ist ein Vielfaches, was derzeit Familien an Almosen gegeben wird. Wir haben ja ein Umlagesystem. Das dritte Kind wird die Pension der Kinderlosen bezahlen, die ersten zwei Kinder jene der Eltern. Die Förderung von Familien mit drei und mehr Kindern wäre deshalb auch so wichtig.

Sie glauben, Eltern würden sich bei einer stärkeren Unterstützung für mehr Kinder entscheiden?

PRETTENTHALER: Es geht darum, jenen Menschen, die gerne mehr Kinder hätten, es sich aber vor allem bei den hohen Wohnungskosten in Städten nicht leisten können, dies auch zu ermöglichen. Und zwar indem man ihnen das Geld, das sie selbst verdient haben, auch lässt. Derzeit gibt es Drei- und Mehrkindfamilien erkennbar nur mehr bei den absolut Reichsten und am meisten im untersten Einkommensfünftel, weil dort die Familienbeihilfe in erster Linie Armutsbekämpfung ist. Auf den Mittelstand, auch auf den unteren, wird vergessen.