S ie eilen derzeit quer durch Europa von Vortrag zu Vortrag. Wie stufen Sie als Wirtschaftsexperte und Fondsmanager die Alarmrufe von EU-Währungskommissar Olli Rehn bezüglich einer neuen Rezession ein?

MAX OTTE: Die negative Stimmung und die Belastungen werden wahrscheinlich eine Rezession zur Folge haben. Aber das ist keine Katastrophe. Das ist eher wie ein Schnupfen, solange sie nicht in eine Depression abgleitet.

Panikstimmung wird auch in Österreich verbreitet, weil die Ratingagentur S&P am Dienstag über die Bonität Österreichs urteilt. Es könnte zu einer Herabstufung kommen, wenn nicht - wie mit einem Schuldenlimit in der Verfassung - der Wille zum Sparen gezeigt wird, lauten die Zurufe. Wie beurteilen Sie die Warnung?

OTTE: Ich wundere mich, dass sich Europas Politiker immer noch von den angelsächsischen Ratingagenturen ihre Finanzpolitik bestimmen lassen. Die Einwände sind einseitig. Auch die USA haben kein Schuldenlimit - bzw. eines, das dauernd angepasst wird. Und sie werden mit AAA eingestuft. Österreich ist um ein Vielfaches solider und dennoch soll das Land herabgestuft werden? Auch der Zinsterror gegen Italien ist unbegründet.

Die Staatsverschuldung Italiens liegt immerhin bei 120 Prozent.

OTTE: Italien kann sich aber zur Not selber retten. Amerika ist für mich der Krisenherd der Weltwirtschaft. Da wurde die Krise erfunden, da wurde sie gekocht. Die USA hat 10,8 Prozent Haushaltsdefizit, jedes vierte Kind ist von staatlichen Lebensmittelmarken abhängig. Die USA stehen am Abgrund und sie lenken mit ihren drei Ratingagenturen ab. Diese Agenturen sind ein Kartell, die mit zweierlei Maß messen. Das ist angelsächsische Machtpolitik. Der Chef jener Ratingagentur, die die USA herabgestuft hat, musste übrigens drei Wochen später gehen.

Wie würden Sie gegen die Macht der Ratingagenturen vorgehen?

OTTE: Man könnte die Ratings aussetzen. Ich verstehe nicht, warum man mit einer europäischen Ratingagentur nicht weiterkommt.

Ihr Lösungsvorschlag beim Brandherd Griechenland lautet: Schuldenschnitt und Rückkehr zur Drachme. Ihr Kollege Hans-Werner Sinn meint, es würde ein kurzes Gewitter geben und dann würde wieder die Sonne scheinen. Beschönigen und vereinfachen Sie da nicht beide all zu sehr?

OTTE: Griechenland hat 350 Milliarden Schulden. Bei einem ehrlichen Schuldenschnitt um die Hälfte - und nicht wie bei der jetzigen Mogelpackung - müssten die Banken europaweit Verluste von 170 Milliarden schlucken. Das schaffen sie nicht komplett, sie schaffen 70 bis 80 Milliarden. Das heißt, der Bankrott Griechenlands kostet uns hundert Milliarden zur Stützung der Banken. Aber dann kommen wir aus der Erpressbarkeit endlich heraus. Es wäre auch eine Doppelwährung möglich. Es geht alles.

Offensichtlich geht nicht alles. Worauf führen Sie es zurück, dass Ihre Lösung keine Chance hat?

OTTE: Herr Ackermann geht dann zur CDU und sagt, dass man darüber nicht einmal nachdenken könne. Das ist Dämonisierung. Da werden Schreckgespenste an die Wand gemalt, um eine nüchterne Analyse zu verhindern. Die Panikspirale mit diesem kleinen Land Griechenland dient nur dazu, dass das Finanzkapital den Selbstbedienungsladen Steuerzahler weiter anzapfen kann. Diesen Selbstbedienungsladen haben sie, solange die EU so erpressbar ist.

Und warum lässt sich die EU erpressen?

OTTE: Weil die Politik hilflos ist und sich von internationalen Banken die Linie vorflüstern lässt. Und weil die Kompetenzen in der Politik leider abgebaut sind. Wenn Herr Ackermann als Oberbrandstifter bei der CDU-Fraktion noch Rederecht hat und seine Sicht schön darstellen darf, kann man das nur als schockierend bezeichnen. Ich wünsche mir zumindest Politiker, die auf Augenhöhe mit den Banken sind.

Was aber würde der Ausschluss Griechenlands aus dem Euro bringen?

OTTE: Es würde Druck aus der Erpressungsspirale nehmen. Im Moment geben wir immer mehr Geld und die Ungleichgewichte gehen trotzdem auseinander.

Wagen Sie eine Prognose, wie Europa in drei Jahren aufgestellt sein wird? Als Transferunion oder als Kern-Euroregion mit Deutschland, Frankreich, Italien, Holland, Österreich?

OTTE: Unsere Politiker werden kreativ genug sein, diese Schuldenspirale noch zwei, drei Jahre zu drehen. Die Last auf Deutschland, Österreich wird steigen. Die Transferunion wird aber platzen.

Weil der Scheck nicht groß genug sein kann?

OTTE: Richtig. Das ist Fiktion, irgendwann platzt das. Da ist man dann in der früheren DDR: Viel Geld am Konto, aber es ist nichts mehr wert. Wenn wir so weitermachen, werden Deutschland und Österreich noch einmal erpresst, aber irgendwann platzt alles.

Stichwort Dämonisierung: Was sagen Sie zu Titeln "Wie der Euro zur gefährlichsten Währung der Welt mutierte"?

OTTE: Das ist eine maßlose Übertreibung. Wenn nicht diese Erpressbarkeitsketten wären, wenn nicht wie in Griechenland der Schwanz mit dem Hund wedelt, ist der Euro stark. Europa ist stark. Es müssten aber endlich die Konstruktionsfehler des Euro beseitigt werden.