Vor vier Jahren ist in den USA die Immobilienblase geplatzt, wodurch das Bankensystem in Schwierigkeiten geriet. Am 15. September 2008 ließ man unvorsichtigerweise die Großbank Lehman Brothers Pleite gehen. Dies brachte das westliche Finanzsystem an die Grenze einer Kernschmelze, was durch rasche Rettungsmaßnahmen gerade noch verhindert werden konnte. Nicht abgestoppt werden konnte aber die bis heute anhaltende Finanzkrise, die trotz weltweiter Konjunkturprogramme mit einer schweren wirtschaftlichen Rezession einherging.

Auch wenn es zwischenzeitlich eine kurze Erholungsphase gab, so ist die Krisensituation noch längst nicht überwunden, auch wenn uns dies mit optimistischen Erwartungserklärungen glauben gemacht werden soll. Diesen widersprechen die Herabstufung der Kreditwürdigkeit zahlreicher Bankinstitute und einiger Staaten wie etwa Italien, die drohende Staatspleite Griechenlands, die notwendig gewordene Verstaatlichung der belgisch-französischen Großbank Dexia sowie die in unserem Land bei der Ersten Bank an die Oberfläche gekommenen Probleme.

Die beschönigenden Stresstests der Banken, die verbalen Placebo-Erklärungen aus der Politik, die Verzögerung einer dauerhaften Lösung der Probleme in Griechenland sowie der Installierung eines europäischen Rettungsschirmes haben wertvolle Zeit gekostet. Die Politik wurde zum Spielball der Märkte und hechelt den von dort diktierten Entwicklungen nach. Das aus Angst vor Entscheidungen und mangelndem politischen Leadership entstandene politische Gestaltungsvakuum hat die krisenhafte Lage zusätzlich verschlimmert. Dadurch werden die anstehenden Problemlösungen immer schwieriger, teurer und schmerzhafter.

Die von den USA ausgehende Krise hat die ganze Welt, vor allem aber Europa erfasst. Die so entstandene "transatlantische Krise" hat dem Westen einen weltweiten Verlust an Ansehen und Bedeutung beschert.

Realitätsverweigerung

Das Epizentrum der Krise hat sich mittlerweile nach Europa verlagert, weil ein rechtzeitiges Eingreifen verabsäumt wurde. Maßnahmen, die früher noch gut möglich gewesen wären, können inzwischen nicht mehr oder nur um vieles aufwendiger getroffen werden. Der scheidende Präsident der EZB, Jean-Claude Trichet, hat erst dieser Tage vor dem Europäischen Parlament Klartext gesprochen. Die Chefin des IWF, Christine Lagarde, wurde wegen ihrer Hinweise auf die Notwendigkeit der Stärkung des Eigenkapitals europäischer Banken noch kürzlich verhöhnt.

Die zu lange geübte Praxis der Realitätsverweigerung hat zu der am schwersten zu bekämpfenden Krise geführt, nämlich dem Verlust an Vertrauen gegenüber Politik und Banken, wie der explodierte Goldpreis, die abgestürzten Aktienkurse, aber auch die Zurückhaltung von Unternehmen bei Investitionen belegen. Unüberlegte, weil fiskalisch wenig ergiebige Pläne für Steueranhebungen und neue Steuern haben dazu zusätzlich beigetragen.

Der bedeutende, in Harvard zu Ruhm gekommene österreichische Ökonom Joseph A. Schumpeter, der von 1911 bis 1919 in Graz lehrte und nach dem Ersten Weltkrieg kurzzeitig österreichischer Finanzminister war, schrieb: "Der Zustand des Geldwesens eines Volkes ist Symptom aller seiner Zustände."

Auf die aktuelle Problemlage umgelegt verdeutlicht dieses Diktum ein drastisches Bild: Viel zu lange wurde in den USA, aber auch in Europa von geborgtem Geld und geborgter Zeit zulasten der Zukunft über die Verhältnisse gelebt und damit die zukünftigen Generationen betrogen. Die Politik der Deregulierung, sorglose Aufsichtsbehörden und ein fehlendes Regelwerk für die sich in der Globalisierung eröffnenden Möglichkeiten haben die Entkoppelung der Finanzwirtschaft von der Realwirtschaft rasant beschleunigt. Statt volkswirtschaftliche Kernaufgaben zu erfüllen, haben von Eitelkeit, Hybris, Prestigedenken und Gier erfasste Banker in einer Art Casinomentalität immer neue Finanzinstrumente entwickelt, die vor allem dem Zweck der eigenen Bereicherung dienten. Mit dem Kalkül "too big to fail" wurde gleichzeitig unterstellt, dass das Risiko, also Verluste, auf den Steuerzahler überwälzt wird.

Damit ging eine Entwicklung einher, die einem Hexenspiel wie in Goethes "Zauberlehrling" gleicht, nur ist bei uns der alte Hexenmeister noch nicht zurückgekehrt, um wieder für Disziplin und Ordnung zu sorgen. Ein solches Regelwerk ist aber dringend notwendig, sonst droht uns eine Katastrophe. Das Geld ist der monetäre Blutkreislauf einer Volkswirtschaft. Gerät dieser ins Stocken, dann droht rasch eine Kreditklemme mit allen bekannten negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft, die Arbeitsplätze und die staatlichen Haushalte. Ein nicht zu überhörendes Warnsignal ist die wachsende Skepsis der Bevölkerung gegenüber den Banken und die zunehmende Angst um die Sicherheit des eigenen Geldes, auch wenn dafür kein unmittelbarer Anlass besteht, hat sich doch der Euro als stabile Währung behauptet. Auch wenn einzelne Banken eine schwierige Phase durchmachen, so bestehen ausreichend Möglichkeiten, diese zu bewältigen. Außerdem sind die Sparer, so wie bereits in der Vergangenheit üblich, durch staatliche Maßnahmen abgesichert.

Den entstandenen Ängsten, die auch von der Sorge vor einem neuerlichen wirtschaftlichen Einbruch getragen werden, gilt es daher mit aller Kraft entgegenzu- wirken. Daher brauchen wir jetzt mehr und nicht weniger oder gar ein zerfallendes Europa. Ein erfolgreicher Binnenmarkt erfordert eine gemeinsame Währung und damit eine einheitliche Geldpolitik. Diese wiederum erforderte ein Mindestmaß an koordinierter Finanzpolitik und finanzieller Disziplin, die weit über die Maastricht-Kriterien hinaus gehen muss. Ebenso ist ein solidarischer Ausgleich erforderlich, den es längst, wenn auch überzogen, im Agrarbereich oder bei den Strukturfonds gibt.

Wir haben keine Euro-Krise, sondern eine politische Krise und daher ist dort der Hebel für treffsichere Maßnahmen zur Gegensteuerung anzusetzen: Sicherheitsschirm. Mit dem Rettungsschirm "Eurobonds" muss ein Sicherheitsschirm errichtet werden, damit Spekulationen gegen den Euro abgeblockt werden sowie in Schieflage geratene Länder und volkswirtschaftlich wichtige Banken wieder auf ein gesundes Fundament gestellt werden können. Schuldenschnitt. Griechenland mit einem Schuldenschnitt und einem Aufbauprogramm bei gleichzeitig strikter Aufsicht wieder auf stabile Beine stellen. Sparen & Investieren. Konsolidierung der aus den Fugen geratenen öffentlichen Haushalte, ohne dabei die Konjunktur abzuwürgen. Gleich einem Rennfahrer, der vor einer Kurve bremsen und fast gleichzeitig in der Kurve wieder Gas geben muss, muss auch die öffentliche Hand gleichzeitig sparen und investieren, um wirtschaftliche Stagnation oder gar eine Rezession zu vermeiden. Die Doppelstrategie muss daher lauten: Sparen, wo möglich, und in die Zukunft investieren, wo nötig, also in Bildung, Wissenschaft, Forschung, Infrastruktur und Innovationen. Bankenstrukturen. Errichtung stabiler und auf die Anforderungen der Wirtschaft und Betriebe ausgerichtete Bankstrukturen durch vernünftige Regulierungen und eine angemessene Eigenkapitalausstattung.

Die Umsetzung vor allem letzterer Leitlinien, die auch Österreich stark betreffen, wird uns allen Einbußen abfordern. Es ist aber ungleich besser, den Gürtel einige Jahre enger zu schnallen, als einigen verlorenen Jahrzehnten entgegensehen zu müssen.

Weil viel zu viel Zeit versäumt wurde, blicken wir jetzt dem Hurrikan ins Auge. Nur Mut zur Wahrheit sowie rasches und entschlossenes Handeln können Schlimmeres verhindern und die Wende zum Besseren bringen.