Donald Tusk ist nervös. Immer wieder wandern seine Augen zu dem Plakat, mit dem ihn seine Gegner im zentralpolnischen Piastow begrüßen. "Genug der Lügen", steht dort in großen Lettern. Jeder Politiker kennt so etwas, noch dazu in Wahlkampfzeiten. Aber der Premier ist bei seinem Besuch in der Kleinstadt sichtlich irritiert.

Grund zur Unruhe hat Tusk. Neueste Prognosen vor den Sejm-Wahlen am Sonntag signalisieren, dass seine rechtsliberale Bürgerplattform (PO) einen sicher geglaubten Sieg noch verspielen könnte. Ursprünglich war es Tusks Ziel, nicht nur als erster polnischer Ministerpräsident seit 1989 im Amt bestätigt zu werden. Er wollte künftig auch mit absoluter Mehrheit regieren. Doch nun steckt seine PO bei 30 Prozent im Umfragetief fest. Es wäre ein Verlust von zehn Punkten gegenüber der Wahl 2007.

Die PIS des nationalkonservativen Scharfmachers Jaroslaw Kaczynski sitzt den Liberalen im Nacken. Und zu allem Überfluss ist nicht der weithin beliebte Tusk der Mann der Stunde, sondern der Polit-Entertainer Janusz Palikot. Dessen "Ruch" (Bewegung) ist eine Abspaltung der PO. Palikot reibt sich an der Macht des politischen Establishments, insbesondere aber am Einfluss der katholischen Kirche. Aus dem Stand hat es die Protestpartei in Umfragen auf zehn Prozent Stimmenanteil gebracht.

Tusk versteht die Welt nicht mehr. Er und seine Regierung waren es doch, die Polen als einziges Land in Europa ohne wirtschaftlichen Einbruch durch die Weltfinanzkrise gesteuert haben. Das Wachstum liegt stabil bei vier Prozent. Die Arbeitslosenquote, die noch zu Beginn des Jahrtausends die 20-Prozent-Marke überschritt, hat sich halbiert. "Viele andere Länder, auch die reichen, haben Massenentlassungen erlebt - wir nicht!", wiederholt Tusk gebetsmühlenartig. Doch die Wähler laufen ihm davon.

Es gibt kaum einen Zweifel, dass Tusk weiter regieren kann - zur Not sogar im Bunde mit den Sozialisten. Niemand will sich auf eine Koalition mit Kaczynski einlassen. Dennoch wirkt der Premier dünnhäutig. "Dann wird eben die PIS stärkste Partei", kanzelt er Journalisten ab, die ihn auf die schwachen demoskopischen Werte der PO ansprechen.

"Tusk und der PO fehlt jede Vision", analysiert der Politikwissenschaftler Jaroslaw Zbieranek. "Die Parteistrategen haben gedacht: Es geht im Land bergauf, die Menschen sind optimistisch, das reicht. Und sie haben damit gerechnet, dass Kaczynski sich mit seinen Provokationen von selbst unbeliebt machen würde. Aber der tut ihnen den Gefallen nicht", erklärt Zbieranek. Er polemisiert und beschränkt sich auf einen Image-Wahlkampf, in dem die inhaltlichen Debatten zum Erliegen gekommen sind.

Kein Wunder, dass die Demoskopen für Sonntag mit einer rekordverdächtig niedrigen Wahlbeteiligung weit unterhalb der 50-Prozent-Marke rechnen.