Gelandet ist Benedikt XVI. am Vormittag, angekommen in Deutschland ist er aber erst am Abend. Im Berliner Olympiastadion feiert er mit 70.000 Gläubigen einen festlichen Gottesdienst. Endlich, so scheint es in seinem Gesicht zu stehen, geht es nicht mehr um übersteigerte Erwartungen, Politik und Proteste, sondern um das eigentliche Ziel dieser Reise: "Ich bin hierhergekommen, um den Menschen zu begegnen und über Gott zu sprechen."

Doch bis zum Moment wirkt er angespannt wie beim Besuch in der Türkei 2006 nach den Protesten in der islamischen Welt gegen seine Regensburger Rede. Schon als er auf dem Flug von Rom nach Berlin sagt, wie sehr er sich auf seine Heimat freue, mag man es ihm kaum glauben. Denn kaum eine Stadt wie Berlin entspricht eher dem Schreckbild, das Benedikt von einer modernen, säkularisierten Metropole hat: Nur ein Drittel der Menschen ist christlich, noch weniger katholisch. Diese Reise ist keine des Herzens, sondern des Verstandes: Einmal muss ein deutscher Papst in die deutsche Hauptstadt.

Hohe Erwartungen

Berlin empfängt ihn dann mit weiterem Nachschub an Erwartungen. Im Schloss Bellevue richtet Bundespräsident Christian Wulff, Katholik, geschieden und wiederverheiratet, Fragen an Benedikt, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen: "Wie barmherzig geht die Kirche mit Brüchen in den Lebensgeschichten von Menschen um? Wie mit den Brüchen in ihrer eigenen Geschichte und mit dem Fehlverhalten von Amtsträgern?" Und als der Papst in den Berliner Reichstag kommt, formuliert es auch der christdemokratische Bundestagspräsident Norbert Lammert als Forderung: "Die Deutschen erwarten sich, dass unter dem Pontifikat eines Deutschen ein Schritt zum Ende der Kirchenspaltung stattfindet." Benedikt nickt.

"Heiliger Vater, willkommen im Deutschen Bundestag", sagt Lammert. Der Applaus in den Reihen der Union schwillt zu einer Lautstärke an, dass er fast trotzig klingt. Da steht Benedikt auf und breitet weit die Arme aus. Dann geht er mit kleinen, flinken Schritten am Rednerpult vorbei, auf den erhöhten Platz des Bundestagspräsidenten zu, dieser führt ihn zum richtigen Rednerpult. Das Parlament lacht, es ist, als wollte sich die Anspannung vor dieser Rede endlich lösen.

22 Minuten spricht er dann, es ist eine Rede voller Zitate, aus der Bibel, von Philosophen, von Wissenschaftlern. Und doch hat sie vor allem eine Botschaft, einen roten Faden: Ein Rechtsstaat beruhe auf Werten, die er selbst nicht schaffen kann.

Lob für die Grünen

Das Parlament applaudiert und jene Grüne, die der Rede fernbleiben, können nicht hören, wie der Papst ihren "Schrei nach frischer Luft" würdigt, der von der "ökologischen Bewegung in der Politik seit den 70er Jahren" ausging und bis heute seine Wirkung habe. Der Papst versichert verschmitzt, das sei keine Propaganda für eine bestimmte Partei. Das ist der zweite Moment, in dem das gesamte Parlament lachen kann.

Die Rede vermeidet vor allem eines: Provokation. Doch kritisch ist sie trotzdem, die Kritik ist subtil und scheint vor allem an die Union gerichtet. Er warnt davor, dass der Mensch sich zum Entscheider über das Leben machen könnte, ohne Präimplantationsdiagnostik oder Stammzellenforschung zu erwähnen. "Der Mensch kann die Welt zerstören. Er kann sich selbst manipulieren. Er kann sozusagen Menschen machen und Menschen vom Menschsein ausschließen."

Am Ende nimmt er seine Lesebrille ab, die Abgeordneten erheben sich zum Applaus. Der Papst lächelt, hat die Hände gefaltet. Vielleicht dankt er still dafür, dass es endlich vorbei ist.

Leitartikel Seite 8