Sein erster Weg vom Tihar-Gefängnis aus führte Anna Hazare am Freitag zur Gedenkstätte für Mahatma Gandhi in Neu-Delhi. Am Rajghat, dem Ort der Einäscherung des gewaltlosen indischen Unabhängigkeitskämpfers, zollte Hazare seinem Vorbild mit einer tiefen Verbeugung Respekt. Polizisten mussten ihm einen Weg durch die Massen seiner Unterstützer bahnen. Tausende weitere Anhänger empfingen den 74-Jährigen schließlich am Ramlila-Gelände in der Innenstadt, wo er seinen Hungerstreik für ein schärferes Anti-Korruptions-Gesetz derzeit öffentlich fortsetzt.

Seit knapp einem Jahr wird die Regierung von Premierminister Manmohan Singh von einem Korruptionsskandal nach dem anderen gebeutelt. Korruption in Indien gab es schon immer, doch inzwischen hat sie Ausmaße angenommen, die sich viele Menschen nicht mehr bieten lassen wollen.

Der Konflikt zwischen Hazare und seinen Anhängern auf der einen und der Regierung auf der anderen Seite eskaliert seit vergangenem April. Damals erzwang der Aktivist mit einem öffentlichen Hungerstreik Verhandlungen über ein Anti-Korruptions-Gesetz. Den letztlich von der Regierung vor zwei Wochen ins Parlament eingebrachten Entwurf lehnt Hazare aber als verwässert ab.

Sechs Tage ohne Nahrung

Am vergangenen Dienstag wollte Hazare einen erneuten öffentlichen Hungerstreik in Neu-Delhi für ein schärferes Gesetz beginnen. Als ihm die Behörden Bedingungen stellten, kündigte der "neue Gandhi" zivilen Ungehorsam an. Die Regierung ließ ihn und 1400 seiner Anhänger daraufhin festnehmen. Angesichts des emporkochenden Volkszornes verfügte sie noch am selben Tage wieder seine Freilassung. Jetzt hungert er auf dem großen Ramlila-Gelände, inmitten von Zehntausenden Anhängern, die dem ganz in Weiß gekleideten Aktivisten zujubelten. Hazare spart am sechsten Tag ohne Nahrung nicht an starken Worten. So kündigte er an, gemeinsam mit ihnen die Korruption in Indien auszurotten.

Und er sagte in Anlehnung an Gandhis Unabhängigkeitsbewegung gegen die Briten: "Der zweite Freiheitskampf hat am 16. August begonnen." An diesem Tag hatten die landesweiten Demonstrationen ihren Auftakt genommen, deren Ende nicht abzusehen ist. Denn auch gestern gingen wieder Zehntausende in mehreren indischen Städten für Anna Hazare und dessen großes Ziel auf die Straßen.