"Nichts geht mehr", lautet dieser Tage das Motto in Athen, Patras und Thessaloniki: Vor dem morgigen Mittwoch, an dem im Parlament über das 78-Milliarden-Euro-Sparpaket abgestimmt werden soll, um weitere internationale Finanzspritzen zu erhalten, wird das ganze Land für 48 Stunden bestreikt: Die Fähren bleiben im Hafen Piräus verankert, Ärzte behandeln nur noch Notfälle, Radio und Fernsehen senden zwischenzeitlich keine Nachrichten. Doch abseits von wütenden Protesten auf dem Athener Syntagma-Platz und der Arbeitsniederlegungen in ganz Hellas, gilt für viele in der Bevölkerung längst auch das Motto "Nichts geht mehr". Für sie geht es Tag für Tag um die pure Existenz, wirtschaftlich wie physisch.

Ohne Job und ohne Wohnung

Laut staatlichem Statistikdienst ist, wie die Online-Ausgabe der "Welt" berichtet, die hellenische Wirtschaftsleistung von Januar bis März dieses Jahres um weitere 5,5 Prozent gesunken, die Arbeitslosigkeit schraubt sich hingegen auf einen neuerlichen Rekordwert von 16,2 Prozent. Bei den unter 30-Jährigen ist überhaupt jeder zweite ohne Job. Die durchschnittlichen Einkommen sanken hingegen um mehr als 20 Prozent. Dem gegenüber stehen immmer mehr Unternehmen, die aufgrund der Rezession aufgeben müssen: In der zweiten Hälfte 2010 schlossen laut dem Wirtschafts- und Arbeitsmarktforscher Savas Robolis 60.000 Familienbetriebe die Pforten ihrer Geschäfte, aber auch größere Baufirmen schlitterten in die Pleite, da die Behörden offene Rechnungen nicht mehr bezahlen konnten.

Weniger Unternehmen bedeuten mehr Leute auf den Straßen: Robolis schätzt, dass sich bei andauernder Wirtschaftskrise zu den derzeit 800.000 Griechen ohne Job noch ein weiteres Arbeitslosen-"Heer" von 250.000 Menschen gesellen wird. Der Unternehmer Evangelos Kritikos, nebenamtlich Gründer einer Vereinigung zum Schutz von Kreditnehmern, macht auf eine weitere alarmierende Zahl aufmerksam: Athens Gerichte mussten ihm zufolge bis Ende März 38.300 Pfändungen genehmigen, vor allem für Wohnungen und Häuser - Tendenz steigend. Er befürchtet, dass in den kommenden zwei Jahren bis zu 200.000 griechische Familien ihr Eigenheim verlieren werden.

Angst vor dem Leben

Es mag angesichts dieser dramatischen Umstände nicht verwundern, dass die Zahl all derer zunimmt, die ihrem Leben gewaltsam selbst ein Ende setzen. Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO verübten vor der Krise, im Jahr 2006, 394 Personen Suizid. Die Selbstmordrate hat seitdem um 30 Pozent zugenommen, auch die Nachfrage nach Psychopharmaka ist rapide gestiegen. Laut Kritikos haben von den rund 50.000 Mitgliedern seines Verbandes im Vorjahr 330 Selbstmord begangen.

Andere denken zwar nicht an Suizid, sagen aber Nein zu neuem Leben: Junge Paare verschieben aufgrund der wirtschaftlichen Lage und der unsicheren Jobs ihren Kinderwunsch auf unbestimmte Zeit. Wer schon Nachwuchs hat, ist sogar gezwungen, diesen "abzugeben", wie der Leiter der nationalen Abteilung des Kinderhilfswerks SOS-Kinderdorf, Giorgos Protopapas, erzählt. So hätte sich schon 2010 die Zahl jener Familien verdoppelt, die um eine materielle Hilfe baten - oder überhaupt darum, ihre Kinder bei SOS-Kinderdorf aufzunehmen. Allein heuer wurden zudem 25 Prozent mehr Abtreibungen vorgenommen. Andere hingegen spielen mit dem Gedanken, der Ägäis und ihren wunderschönen Inseln den Rücken zu kehren und ihr Glück im Ausland zu versuchen.

Sollte das neue Sparpakt am Mittwoch beschlossen werden, drohen weitere massive Einschnitte: Laut einer Rechnung der Zeitung "Ta Nea" würde ein Ehepaar mit zusammen 65.000 Euro Jahreseinkommen zusätzlich mit mehr als 2.000 Euro belastet werden. Die Steuern auf Autos und Heizöl werden erhöht, zudem muss jeder Bürger eine "Solidaritätsabgabe" leisten. Viele Menschen können jedoch nicht mehr, sind finanziell, körperlich, moralisch am Ende. Für sie geht es Mittwochabend im Athener Parlament buchstäblich ums "Eingemachte".