Mit Ratko Mladic ist der serbischen Polizei der meistgesuchte Kriegsverbrecher der Welt ins Netz gegangen. In den Morgenstunden spürten Beamte der Geheimpolizeitruppe BIA den früheren bosnisch-serbischen Generalstabschef im Haus eines Verwandten in einem Dorf im Norden des Landes auf. Der stark gealterte Mladic habe falsche Papiere auf den Namen Milorad Komadic getragen, bestätigte Staatspräsident Boris Tadic vor der Presse in Belgrad.

Der 69-Jährige wird von der Anklagebehörde des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag des Völkermords beschuldigt. Unter seinem Kommando tötete die Armee 1995 etwa 7800 Bosnier aus der Stadt Srebrenica. Seit 1996 wird Mladic offiziell gesucht, seit 2004 ist die Polizei ihm auf den Spuren, bestätigt ein hochrangiger Polizist der Kleinen Zeitung, der an der Suche beteiligt war. 2006 verloren sich seine letzten Spuren. Im vergangenen Juni hatte seine Familie versucht, Mladic für tot erklären zu lassen.

In den vergangenen neun Monaten verdichteten sich jedoch die Hinweise auf den Aufenthaltsort, als die Geheimdienste die Familie wieder stärker unter die Lupe nahmen. Dabei arbeite der serbische Geheimdienst eng mit dem englischen und bosnischen zusammen.

Schauplatz der Verhaftung war Lazarevo bei Zrenjanin in der Vojvodina, wo Mladics Vetter und seine zwei Söhne mit ihren Familien drei bescheidene Häuser bewohnen. Ersten Vermutungen zufolge war das Dorf aber nicht Mladics ständiger Aufenthaltsort. Bewohner erklärten, den Mann seit den Neunzigerjahren nie gesehen zu haben; offenbar habe er zu Besuch geweilt.

Mit der Verhaftung von Mladic habe Serbien eine "moralische Verpflichtung gegenüber den Opfern und deren Familien erfüllt", sagte Tadic. Serbien habe damit seine Verbundenheit mit den europäischen Werten unter Beweis gestellt und eine "schwierige Periode" seiner Geschichte beendet. "Wir sind stolz, dass wir in diesem Augenblick die Last der Geschichte dort abgeladen haben, wo sie hingehört: in die düsteren Neunzigerjahre." Den letzten serbischen Angeklagten des Haager Tribunals, den kroatischen Serben Goran Hadzic, rief Tadic auf, sich zu stellen.

Massaker von Srebrenica

Rau aber herzlich, hart aber fair, ein Krieger, aber einer mit soldatischem Ethos: So wollte Mladic gern gesehen werden. Dabei war es nur eine schaurige Pose. "Haben Sie keine Angst", rief der bullige Mann im Kampfanzug am 11. Juli 1995 den Frauen von Srebrenica zu, streichelte die Köpfe der Kinder und ließ sich dabei filmen. "Niemand wird Ihnen etwas tun." Die Busse standen schon bereit. "Frauen und Kinder zuerst", sprach der General: "Und dass ja kein Kind verloren geht!"

Einen Tag nach der berühmten Szene begann unter dem Kommando von Mladic das Massaker von Srebrenica, bei dem etwa 7800 gefangene, entwaffnete Männer und Burschen im Alter zwischen 12 und 77 Jahren ermordet wurden.

Mladics Tat ragt aus den vielen Untaten, die im Krieg begangen wurden, weit heraus. Srebrenica war Vernichtungskrieg und passt dem Muster nach eher in den Zweiten Weltkrieg, zu den Massakern der Wehrmacht und der SS im Osten Europas, als zu den Plünderungen, Vertreibungen, Morden und Vergewaltigungen durch Freischärler, wie sie den Krieg in Bosnien kennzeichneten. Die Assoziation kam vielen. Deutschlands ehemaliger grüner Außenminister Joschka Fischer hat Srebrenica als seinen persönlichen Wendepunkt bezeichnet: Zum "Nie wieder Krieg", das seine Generation in vielen Demonstrationen vorgebracht hatte, trat jetzt die Parole "Nie wieder Auschwitz". Tatsächlich ist mit Srebrenica Europas Selbstbild vom friedlichen Kontinent, der aus seiner Geschichte gelernt hat, aus den Fugen geraten.

Für Serbien ist die Ergreifung von Mladic eine kleine zweite Revolution. Er war in den vergangenen Jahren der Schützling des Apparats, der Armee und der Polizei. Aber auch für die ganze Gesellschaft war und ist der bullige General noch heute eine wichtige Leitfigur - wichtiger noch als Milosevic. Milosevic war gescheitert, ihm war man nichts schuldig. Mladic dagegen war für das nationale Serbien der Neunzigerjahre das personifizierte schlechte Gewissen. Belgrad hatte friedlich da gelegen, als Sarajevo beschossen und Bosnier zu Hunderttausenden aus ihren Häusern getrieben wurden. Mladic dagegen personifizierte die "vorderste Linie": Er war der Krieger, der im Blut und im Schlamm wühlte, der das eigene Haus verteidigte, wie er unablässig wiederholte. "Unsere Jungs sterben, und Belgrad badet", war ein Satz, mit dem Mladic die Serben ins Herz traf. Milosevic ließ sich zum Sündenbock machen, Mladic nicht.

Von hohen Beamten gedeckt

Für viele hohe Beamte in Serbien und im serbischen Teil Bosniens gab es auch eine Reihe handfester Gründe, Mladic nicht anzutasten: Viele wichtige Funktionsträger in Armee und Polizei können nicht sicher sein, dass sie nicht eines Tages selbst an die Reihe kommen. Ein Beispiel dafür ist Dragomir Andan, der Chef der bosnisch-serbischen Polizei, der Verhandlungen mit der Familie Mladic um die Übergabe des Gesuchten führte: Andan wird beschuldigt, er sei an Plünderungsorgien im Sarajevoer Stadtteil Grbavica beteiligt und in Srebrenica wenigstens dabei gewesen.