Dass zwanzig Jahre nach Kriegsbeginn in Ex-Jugoslawien Ratko Mladic gefangen wurde, ist nicht nur ein symbolischer Erfolg. Mehr als alle Haager Häftlinge vor ihm kann der Stratege des Massakers von Srebrenica vor Gericht für Aufklärung und für Versöhnung sorgen. Denn der Fluch der Tat von Srebrenica hat die Atmosphäre im Nachkriegsland Bosnien so nachhaltig vergiftet, dass Versöhnung noch immer in weiter Ferne liegt. Mladics Kalkül, die Einheit Bosniens zu verhindern, ist einstweilen aufgegangen. Jetzt besteht die Chance, es doch noch zu vereiteln.

Anders als die Serben in Bosnien hat sich die Republik Serbien mit der Verhaftung von Mladic aus der Geiselhaft des Mörders schon befreit. Jahrelang mussten die Haager Ankläger mit ihrem Urteil über die Ernsthaftigkeit, mit der die Polizei den General suchte, zugleich über die Chancen Serbiens auf den EU-Beitritt richten. Seit dem Amtsantritt des Innenministers Ivica Dacic war an dieser Ernsthaftigkeit kaum noch ein vernünftiger Zweifel möglich. Dacic war in den Neunzigerjahren Sprecher von Slobodan Milosevic. Mit seinem Eintritt in die europafreundliche Regierung des Präsidenten Boris Tadic war er dazu verdammt, das Land nach Europa zu führen. Nicht mangelnder Ernst hinderte ihn, Mladic zu fangen, sondern mangelnde Kontrolle. Polizei und Geheimdienst in Serbien sind seit der Ära Milosevic korrumpiert und benötigen ihre informellen Netzwerke, um sich vor Strafverfolgung zu schützen. Jetzt wissen alle: Der Minister ist doch stärker. Der Weg nach Europa ist frei.

Der bevorstehende Prozess in Den Haag hält aber auch für den Rest der Welt eine Herausforderung bereit. Wenn er denn aussagt, kann Mladic auch ein Licht auf die Mittel werfen, mit der Mitte der Neunzigerjahre die Amerikaner den Krieg in Bosnien beendet haben. In einem zynisch so genannten Endspiel, sollten die Kriegsparteien in unter einander abgesprochenen Feldzügen am Boden die Verhältnisse herstellen, die Diplomaten am grünen Tisch entworfen hatten. Dabei nahm der Regisseur in Kauf, dass nach "ethnischen Säuberungen" 1992 noch einmal Hunderttausende Menschen vertrieben wurden.

Das Massaker von Srebrenica war nicht Bestandteil der Strategie, wohl aber Teil des Risikos. Wer sich solcher Kräfte bedient, darf sich nicht wundern, dass skrupellose Akteure wie Mladic ihr eigenes Spiel spielen. Die Kriegsparteien sind heute im Prinzip bereit, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Der Westen sollte es ihnen gleichtun.

Sie erreichen den Autor unter

redaktion@kleinezeitung.at