Für Griechenland schlägt in der kommenden Woche wieder einmal die Stunde der Wahrheit. Nach Milliardenhilfen und Sparprogramm muss Ministerpräsident Giorgos Papandreou ein neues radikales Rezept unterschreiben, mit dem die Staatsfinanzen des größten europäischen Schuldensünders endlich in Ordnung kommen sollen. 26 Milliarden Euro sollen in den kommenden zwei Jahren gespart werden. 50 Milliarden Euro sollen bis 2015 durch den Verkauf von Staatseigentum in die Kassen fließen. Medienberichten zufolge könnte das von der EU dringend angemahnte Programm am Montag oder Dienstag präsentiert werden.

Das erste Stabilisierungsprogramm, das EU und Internationaler Währungsfonds (IWF) 2010 zur Bedingung für das 110 Milliarden Euro schwere Hilfsprogramm machten, ist gescheitert. Griechenland steht heute mit 330 Milliarden Schulden ein Jahr nach der ersten Rettung vor der Pleite wieder am Rande des finanziellen Abgrunds. Das mussten die Experten von EU und IWF, die Athen unter ständiger Kontrolle haben, feststellen. Der Chef der Eurogruppe, der Luxemburger Jean-Claude Juncker, hat deswegen bereits deutlich gemacht, dass die EU mit ihrer Geduld am Ende ist. Als Kernproblem der Misere gilt der Widerstand des aufgeblähten griechischen Staatsapparates, der jede Reform im Sande verlaufen lässt. Und auch die griechische Öffentlichkeit hat aus Sicht der europäischen Partner den Ernst der Lage noch nicht begriffen.

Entscheidungshierarchie funktioniert nicht

Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass Athen frisches Geld braucht, im Gespräch sind zwischen 30 und 60 Milliarden Euro. Nach Einschätzung der Commerzbank-Volkswirte kann sich das Land vielleicht 2011 noch durchmogeln - aber dann wird es richtig ernst: Eigentlich soll Griechenland im nächsten Jahr wieder selbst am Kapitalmarkt Geld aufnehmen. "Doch inzwischen ist allen Beteiligten klar, dass dies wegen der extrem hohen Marktzinsen unrealistisch ist", schreibt das Frankfurter Geldhaus in einer Analyse. "Spätestens Anfang 2012 dürfte Griechenland stolpern", lautet die Prognose. Bedingung für die nötigen weiteren Hilfen: Athen muss nun endlich ernst machen mit der Sanierung des Staatshaushaltes.

Dies ist nach Einschätzung von Experten bislang daran gescheitert, dass die Entscheidungen auf dem Papier bleiben. "Das Förderband der Entscheidungsübertragung von der Regierung zu den mittleren und niedrigeren Stellen des Staatsapparats funktioniert nicht. Die Entscheidungen werden einfach nicht in die Tat umgesetzt", sagt ein Mitarbeiter einer griechischen Privatbank. "Je tiefer man in der Hierarchie hinunter steigt, umso größer wird der Widerstand", urteilt auch die Commerzbank.

Jüngstes Beispiel: Tausende griechische Arbeitnehmer müssen stundenlang vor den Schaltern der Steuerämter Schlange stehen, um eine Geheimzahl zu bekommen, mit der sie elektronisch ihre Steuererklärung machen können. Millionen Arbeitsstunden gehen dieser Tage verloren, weil der griechische Staatsapparat nicht in der Lage ist, eine andere unbürokratische Methode zu finden, um Online-Steuererklärungen möglich zu machen. Steuerhinterziehung und eine ineffektive Finanzverwaltung gelten als eines der größten Probleme für den Fiskus.

Auch aus ideologischen Gründen kommt Sand ins Getriebe. Die regierende Sozialistische Partei (Pasok) ist tief gespalten. Ein Teil ist bereit, die nötigen Reformen durchzusetzen - "koste es politisch, was es will", wie Ministerpräsident Papandreou immer wieder sagt. Ein anderer Teil der Partei sperrt sich dagegen. So gibt es Minister, die bei Treffen mit den Vertretern der "Troika" aus EU, IWF und Europäischer Zentralbank (EZB) mit Ausreden die Reformen hinauszögern, oder Einschnitte ablehnen.

Viele in Griechenland scheinen nicht begreifen zu können, wie schlimm die Situation ist. Sie glauben, der griechische "Vater Staat", der für viele nach sowjetischem Muster Arbeit fand und als Drehscheibe der Wirtschaft des Landes wirkte, könne weiter existieren. Papandreou warnt, aber viele Griechen scheinen nicht zu hören, dass die EU nicht bereit ist, diese Rolle zu übernehmen: "Entweder ändern wir uns oder wir gehen alle zusammen unter", mahnt er immer wieder. Mittlerweile wird Papandreou kritisiert, ihm fehle das notwendige Durchsetzungsvermögen, seine Mitarbeiter zur Umsetzung des Stabilisierungsprogramms zu zwingen. Eine Regierungsumbildung oder sogar vorgezogene Wahlen gelten als möglich.

Das neue Programm soll, nach Bekanntgabe, Diskussion und Abstimmung im Parlament bis spätestens Mitte Juni fertig sein. Andernfalls wird Athen kein Geld mehr bekommen. Dann, warnen viele Kommentatoren, werde erst richtig das Chaos ausbrechen, wenn der Staat die Renten und die Löhne der Staatsbediensteten nicht mehr zahlen kann.