Welche Folgen wird der Tod Osama bin Ladens haben?

KARIM EL-GAWHARY: Geringere als man erwartet.

Warum?

EL-GAWHARY: Weil Osama bin Laden schon in den letzten Jahren einen langsamen politischen Tod gestorben ist. Seine Umfragewerte in der arabischen Welt sind konstant heruntergegangen. Nach dem Anschlag auf das World Trade Center war er noch eine Heldenfigur für viele.

Wie erklärt sich das?

EL-GAWHARY: Die Leute fühlten sich politisch ohnmächtig - gegenüber dem eigenen Regime, gegenüber Israel, gegenüber den USA, Europa, dem Westen, die in dieser Region machen, was sie wollen. Dann kommt jemand, der vermeintlich etwas unternimmt. Das hat dazu geführt, dass er die große Heldenfigur geworden ist. Vor zehn Jahren haben viele nur militante Lösungen für möglich gehalten.

Bis zu den Revolutionen?

EL-GAWHARY: Was jetzt passiert, ist die Antithese zu Osama bin Laden: dass die Leute die Dinge selbst in die Hand nehmen, dass politisch Ohnmächtige zu politischen Akteuren werden, die nicht mehr Osama bin Laden, Al Kaida und Anschläge brauchen.

Die Wut richtet sich gegen die Regime - war bin Ladens Polemik gegen den Westen Ablenkung?

EL-GAWHARY: Beides. Wenn die arabischen Revolutionen fertig sind mit ihren eigenen Regimen, wird die nächste Forderung sein, international auf Augenhöhe zu stehen. Der Nahe Osten wird kompliziert. Jetzt müssen sich der Westen, Europa und Israel nicht nur mit einem Dutzend Regimen arrangieren, sondern mit 240 Millionen Arabern und deren öffentlicher Meinung.

Osama hat in den letzten Jahren vor allem Muslime getötet, warum hat nicht das schon eine Abkehr bewirkt?

EL-GAWHARY: Seine Umfragewerte sind massiv nach unten gegangen. Auch weil die Leute gesehen haben, dass nichts weitergeht und sie einen Preis dafür zahlen müssen. Als Araber kann ich nicht mehr leicht verreisen, als Student bekomme ich kein US-Stipendium - all das spielt natürlich eine Rolle. Der Tod von Osama wird deshalb - glaube ich - auch als eine Erleichterung gesehen.

Nun steht ein Ägypter an der Spitze der Organisation.

EL-GAWHARY: Es gibt keine Spitze von Al Kaida, das sind alles nur Symbolfiguren, die von der Seitenlinie die politischen Ereignisse kommentieren.

Was bleibt von Al Kaida?

EL-GAWHARY: Al Kaida ist eigentlich nur noch eine Ideologie, eine Gruppe von dezentralen, freiberuflichen Gruppierungen und Filialen, die völlig unabhängig voneinander agieren.

Das Scheitern der Reformen birgt die Gefahr eines Rückfalls?

EL-GAWHARY: Auf jeden Fall - aber die Reformbewegung scheitert nicht. Die arabische Welt wird nie wieder so sein wie vorher.

Was, wenn Gaddafi und Assad sich durchsetzen?

EL-GAWHARY: Am Ende werden sie alle weg sein. Das lässt sich nicht aufhalten, es lässt sich nur blutig verschieben. Die Zeit politischer Monopole ist vorbei. Wir werden Pluralismus erleben, mit viel Streit.

Und Islamisten wie die Muslimbrüder?

EL-GAWHARY: Die Muslimbrüder werden an ihren inneren Widersprüchen zerbrechen, nach der Wahl im September. Das zeichnet sich schon ab.

Die Demonstrationen werden weitergehen?

EL-GAWHARY: Wenn den Leuten etwas nicht passt, dann gehen sie wieder auf die Straße. Das Gefühl, die Dinge in die eigene Hand nehmen zu können, keine Angst mehr zu haben, das geht nicht mehr weg.