FRANZ FIEDLER: Da spiegeln sich die Ereignisse der letzten Zeit wider. Ich halte Politiker nicht generell für käuflich. Dass sie es sein können, hat sich gezeigt.

Sind Österreichs Politiker korrupter als anderswo?

FIEDLER: Wenn man den Korruptionswahrnehmungsindex herannimmt, liegt Österreich in Europa nur im Mittelfeld.

Ist Ernst Strasser ein Einzelfall oder die Spitze des Eisbergs?

FIEDLER: Er ist sicher kein Einzelfall. Ob sich noch viel mehr darunter verbirgt, weiß ich nicht. Er ist sicher einer von jenen, die in der Politik nicht nur das Engagement für die Allgemeinheit gesehen haben, sondern auch die Wahrnehmung eigener finanzieller Interessen.

Sie sind als Ex-Rechnungshofpräsident einer der wenigen, die Einblick in die Parteienfinanzierung haben. Parteien müssen dem Rechnungshofchef alles melden. Liegt es mit der Parteienfinanzierung im Argen?

FIEDLER: Es stimmt nicht, dass ich kompletten Einblick hatte. Mitglieder der Bundes- und der Landesregierung müssen zwar alle zwei Jahre ihre Vermögensverhältnisse offenlegen. Nur hat das einen großen Haken. Ich konnte das nicht nachprüfen. Auch gibt es keine Sanktionen. Und wenn jemand keine Meldung gemacht hat, wie das auch geschehen ist, blieb es ohne Folgen.

Hatten Sie mehrere Fälle, wo Sie starke Zweifel hatten?

FIEDLER: Manchmal habe ich nachgefragt und eine plausible Erklärung erhalten, etwa dass jemand durch eine Erbschaft einen Vermögenszuwachs hatte. Aber das ist nur ein Teilaspekt. Bei Abgeordneten gibt es so gut wie keine Regelung. Aufgrund des letzten Vorfalles wäre eine umfassende, transparente, nachprüfbare Neuregelung dringend geboten.

Und wie ist es bei den Parteien?

FIEDLER: Bei den Zuwendungen an die Politik besteht ein Dunkelfeld, das aufgehellt werden muss. Bei der Parteienfinanzierung hinken wir dem europäischen Standard hinterher. Die Regelungen sind generell viel zu großzügig. Parteien müssen zwar Spenden über 7.260 Euro melden. Was Kammern, Gewerkschaften, Industriellenvereinigung spenden, wird nicht gemeldet. Ich meine, anonyme Spenden oder Spenden aus dem Ausland sollten gleich komplett verboten werden.

Kann der Rechnungshofpräsident das kontrollieren?

FIEDLER: Nein, Sie können melden, was Sie wollen, und der Rechnungshofpräsident muss es glauben. Das ist ein Zustand, der einem Standard anderer Staaten, mit denen wir uns gern immer vergleichen, nicht gerecht wird. Bei Helmut Kohls CDU-Parteispenden sind Urteile gesprochen worden. In Österreich gibt es weder Kontrollen noch Sanktionen. Das ist ein unhaltbarer Zustand.

Sie fordern komplette Transparenz?

FIEDLER: Bis hinunter zur Gemeindeebene, inklusive aller Teilorganisationen und aller Unternehmen, die im Eigentum von Parteien sind - ich denke an den Kärntner Fall Connect.

Soll sich nur der Rechnungshofpräsident ein umfassendes Bild der Einkommenssituation machen dürfen? Oder soll das ins Internet gestellt werden?

FIEDLER: Ich glaube, Letzteres. Jeder Bürger sollte wissen, wer in einer politischen Partei was gespendet hat, ob ein Politiker, den er wählt, ein institutioneller Lobbyist der Gewerkschaft, der Kammern oder von Raiffeisen ist oder nicht.

Sollte es Berufsverbote für Abgeordnete geben?

FIEDLER: Da muss man vorsichtig sein. Ich kann mir vorstellen, dass ein Abgeordneter keine Lobbying-Firma haben darf. Lobbying ist nun mal eine Tätigkeit, die korruptionsgeneigt ist.

Lobbyisten sind korrupt?

FIEDLER: Nein, das sage ich nicht. Es gibt auch Sportarten, die gefahrengeneigter sind als andere, Eishockey mehr als Schach. Ein Lobbyist ist sicher korruptionsgeneigter als ein Straßenkehrer.

Aber auch Greenpeace betreibt Lobbying.

FIEDLER: Sie sprechen einen wichtigen Punkt an. Lobbying darf nicht so eng gesehen werden, dass nur ausgewiesene Lobbying-Unternehmen erfasst werden. Jede Tätigkeit, die eine Einflussnahme auf einen Politiker ausübt, ist Lobbying. Das betrifft Nichtregierungsorganisationen, Bürgerinitiativen, Kammern, Gewerkschaften, die Kirchen. Ich will den Lobbyismus nicht kriminalisieren, sondern ihn nur transparent machen.

Was ist mit Rechtsanwälten, die im Parlament sitzen und unter Verschwiegenheitspflicht stehen?

FIEDLER: Für solche Berufe muss man eine Regelung finden. Wenn ein Abgeordneter veröffentlichen soll, welche Einkünfte er außerhalb des Parlaments bezieht, kann man von diesem, wenn er Arzt für Geschlechtskrankheiten ist, nicht erwarten, dass er seine Patientenliste angibt. Der Anwalts- oder Arztberuf ist oft die Ausrede, um nichts zu ändern.

Was halten Sie von einem Berufsverbot für Interessenvertreter des ÖGB, der Kammern oder eines Angestellten von Raiffeisen?

FIEDLER: Das kann man nicht verbieten - abgesehen davon, wenn ich zynisch sein will, wäre dann das Parlament entvölkert. Mir geht es um Transparenz.

Warum sind die Österreicher solche Transparenzmuffel?

FIEDLER: Das hat mit der Mentalität zu tun. Was man bekommt, behält jeder für sich. In Österreich fehlt der Wille zur Transparenz.

Warum?

FIEDLER: Nach Meinung der Parteien sollte die Parteienfinanzierung ein Graubereich bleiben. Die staatliche Parteienfinanzierung ist ja äußerst großzügig. Wir haben keine Transparenzkultur.

Was anderes: Dass beim Eurofighter das Verfahren eingestellt wurde, empört viele. Zu Recht?

FIEDLER: Ich kann das nicht beurteilen. Ich kenne die Details nicht. Nach außen müsste allerdings wesentlich transparenter gemacht werden, warum das Verfahren eingestellt wurde. Die Erklärungen, die gemacht worden sind, reichen nicht aus.

Warum werden solche Verfahren eingestellt. Ist es vorauseilender Gehorsam?

FIEDLER: Das Phänomen gibt es in der ganzen Verwaltung. Es funktioniert nur, wenn die Spitze es will. Das möchte ich der Justizministerin nicht unterstellen. In der Vergangenheit war es sehr wohl so. Das weiß ich aus meiner früheren Tätigkeit als Staatsanwalt.

Und der Fall Grasser?

FIEDLER: Es wird bemüht und engagiert gearbeitet. Allerdings muss ich schon einen Punkt anmerken: Bei der Verfolgung der großen Wirtschaftsdelikte sind wir in einem sehr frühen Stadium. Vergleichen Sie, wie viele Staatsanwälte in Deutschland bei der Hypo ermitteln. Auch fehlt es noch an wirtschaftlicher Expertise unter den Staatsanwälten und Richtern.

Ist es politisch erwünscht?

FIEDLER: Das glaube ich nicht. Die Justizministerin steht öffentlich unter großem Druck.

Der Bundespräsident beruft nun einen Anti-Korruptions-Gipfel ein. Wird sich was tun? Oder wird alles wieder einschlafen?

FIEDLER: Es muss sich etwas ändern. Denken Sie nur, dass Strasser in Österreich kein Fall für die Justiz wäre. Die Zeit des Redens sollte endlich vorbei sein. Es gibt leider in Österreich keine umfassende Konzeption der Korruptionsprävention. Jeder Minister ist für einen Teilbereich zuständig. Niemand denkt darüber nach, wie man Einfallstore zur Korruption bekämpft.

Wo sollte das angesiedelt sein?

FIEDLER: Der Bundeskanzler sollte eine Koordinationsfunktion haben. In Österreich ist auf diesem Gebiet alles immer nur Flickwerk. In den letzten vier Jahren hatten wir vier Korruptionsnovellen. Das ist kein Konzept. Das ist anlassbezogene Gesetzwerdung. Das ist Flickwerk. Davon muss man sich lösen.

Und ein eigener Anti-Korruptionsstaatssekretär?

FIEDLER: Als ehemaliger Rechnungshofpräsident will ich nicht noch eine neue Stelle erfinden.