Für die Kritiker der islamisch-konservativen türkischen Regierung ist es ein neuer Tiefschlag gegen die Meinungsfreiheit: Nachdem die Justiz bereits dutzende Journalisten mit Strafverfahren oder sogar Festnahmen verfolgt, macht die Polizei nun Jagd auf das noch unveröffentlichte Buch "Die Armee des Imams", das der Autor Ahmet Sik vor seiner Festnahme geschrieben hat. Auch international gerät Ankara unter Druck.

Verdeckte Netzwerke als Reizthema

Siks Buch soll sich mit verdeckten Netzwerken befassen, die Anhänger des in den USA lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen in der türkischen Polizei geknüpft haben sollen. Die These ist nicht neu und in Kreisen der säkularen Opposition ein verbreitetes Schreckensszenario. Es geht im Kern um die Frage, ob Anhänger islamischer Parteien und Organisationen den Staat gezielt unterwandern, um dann eines Tages das System zu stürzen.

Eine Schlangengrube

Wer sich mit dem Thema befasst, der kann auch gleich in eine Schlangengrube springen. Die beteiligten politischen Gruppen arbeiten mit Unterstellungen, werfen sich gegenseitig Putschpläne vor und hören sich die Telefone ab, wie fast täglich berichtet wird. Nur sitzt die islamisch-konservative Regierungspartei AKP oftmals am längeren Hebel.

AKP-Politiker werfen ihren Gegnern vor, einer als "Ergenekon" bezeichneten, nationalistischen Untergrundorganisation anzugehören. In mehreren Ergenekon-Prozessen sind ranghohe Armeeoffiziere angeklagt - auch Journalisten, Wissenschaftler und Kulturschaffende. Kritiker sagen, dass die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die Fälle inzwischen benutzt, um auch liberale Gegner einzuschüchtern oder sogar festzunehmen.

In der vergangenen Woche rückten Polizisten an, um "Die Armee des Imams" von Festplatten zu löschen. Sie filzten Computer in den Redaktionsräume der liberalen Zeitung "Radikal" sowie im Verlagshaus Ithaki. Auch Freunde des Autors dürfen keine Version mehr besitzen. Sik selbst, der das Buch nach Darstellung der Staatsanwaltschaft im Auftrag von Ergenekon geschrieben haben soll, erhielt im Gefängnis Besuch von den amtlichen Daten-Detektiven.

Undurchsichtige Fronten

Das türkische PEN-Zentrum prangerte den Polizeieinsatz an. Die Organisation Reporter ohne Grenzen kritisierte die Staatsanwaltschaft und zweifelt daran, ob es tatsächlich um kriminelle Vorwürfe geht oder nicht in Wirklichkeit um Politik. Kritik kam auch aus dem Büro des EU-Erweiterungskommissars Stefan Füle.

Mit Kritik an der Verfolgung von Journalisten hatte sich schon der neue US-Botschafter Francis Riccardone in Ankara unbeliebt gemacht. Auf der einen Seite würden Reden über die Pressefreiheit gehalten, auf der anderen Seite Journalisten in Haft genommen, hatte Riccardone im Februar gesagt. Ankara verbat sich die Einmischung.