Im Flugzeug von Rom nach Lampedusa sitzen neben Journalisten und Kameraleuten gut 40 Polizisten, kurzfristig zum Dienst berufen. Weitere Polizisten sollen folgen, sagen sie. Manche von ihnen waren schon einmal auf Lampedusa im Einsatz, früher, als hier ständig Flüchtlinge aus Afrika landeten. "Aber das ist schon länger her. 2005 war es das letzte Mal so arg wie jetzt!"

Italiens Ministerpräsident Roberto Maroni fürchtet sogar, dass es noch schlimmer kommen könnte: "Das ist der Fall der Mauer", sagte er im italienischen Fernsehen, "wir sind Zeugen eines biblischen Exodus". Zehntausende Menschen, so meint er, warteten in Tunesien nur darauf, ins Boot zu steigen und über das Mittelmeer Lampedusa zu erreichen.

Salem ist einer jener Tunesier, der es geschafft hat; 19 Jahre alt, Kapuzenpulli, darüber eine schwarze bis zur Hüfte gehende Jacke. 15 Stunden war er auf dem Meer unterwegs, mit 50 anderen. 2000 Euro hat die Überfahrt gekostet, alle haben das gezahlt, der Standardtarif zur Fahrt in ein neues Leben. Jetzt ist er auf Lampedusa. "In Tunesien ist das reine Chaos, ich habe alles zurückgelassen. Sobald es ruhig ist, gehe ich zurück", erzählt er uns. Die meisten der rund 5000, die in den letzten Tagen kamen, sind junge Männer.

Nun harren sie aus im "Centro d'accoglienza", dem Aufnahmelager: Zwischen hohen Pinien liegen, so gut es geht, freundlich gestaltete Häuser. Hier werden sie zunächst versorgt, dann sieht man weiter. Es ist voll im Lager, nachdem ein gutes Jahr hier überhaupt niemand mehr war: Es kamen keine Boote mehr, das Lager wurde geschlossen, es wehte nur der raue Wind vom Meer hindurch. Man überlegte bereits, das Aufnahmelager in ein Museum umzubauen, zu einem italienischen Ellis Island: ein Museum über die Geschichte der Immigration übers Mittelmeer in die Festung Europa.

Dass es um Lampedusa ruhiger wurde, lag an der italienischen Politik: Mit dem bisherigen tunesischen Machthaber Ben Ali gab es ein Abkommen, dann auch mit Libyen: Die Länder sollten Bootsflüchtlinge daran hindern, in See zu stechen, oder sie einholen und zurückbringen - dafür sollte es finanzielle und personelle Unterstützung geben.

Italiens Pakt mit Despoten

Es war ein Erfolg für die Berlusconi-Regierung, wenn auch keiner, für den man Menschen-rechtspreise bekommt. Hilfsorganisationen und Oppositionspolitiker schimpften über den Pakt mit den Despoten, aber keine Flüchtlingsboote kamen mehr.

Italien spürt als erstes Land die Folgen der nordafrikanischen Revolutionen: Mit der Flucht der Diktatoren sind auch frühere Abmachungen in Gefahr. Die tunesische Übergangsregierung schloss den von Rom angebotenen Einsatz italienischer Beamter an der tunesischen Grenze aus. Aber es muss sich schnell etwas tun, denn Italien ist schlecht vorbereitet und das Innenministerium ist besorgt, dass unter den Einwanderern Kriminelle sind, die im tunesischen Chaos der letzten Woche aus dem Gefängnis geflohen sein könnten.

Sami und sein Freund Saleh sitzen unterdessen unter einem Baum am Flughafen von Lampedusa und warten darauf, nach Porto Empedocle an der Südküste Siziliens ausgeflogen zu werden. Sie haben keine Frauen, keine Kinder und hatten schon seit Längerem Geld gespart, um nach Europa auszuwandern. Nun sei die Gelegenheit günstig gewesen, meinen sie.

Von Europa hat er immer schon geträumt. "Mir ist es egal, wo ich lebe: Italien, Schweiz, Deutschland, Frankreich", sagt er, "ich habe nur drei Ziele: ein Ort, an dem ich schlafen kann, Arbeit, ein Einkommen." Aber an den Ort seiner Träume muss Saleh erst einmal kommen. Der Weg dorthin ist noch weit und Lampedusa war nur das erste Etappenziel.