Mubarak ist zurückgetreten. Das Regime wankt, der Platz der Befreiung bebt. Menschen fallen sich in die Arme, singen, tanzen, strecken die Hände zum Himmel. Andere sinken auf die Knie und beten. "Endlich sind wir frei", rufen sie weinend und immer wieder "Freiheit, Freiheit". Feuerwerk am Himmel von Kairo, Gewehrsalven hallen durch die Straßen. Friedensnobelpreisträger Mohamed El Baradei fasst das Gefühl der Millionen Menschen auf dem Platz der Freiheit zusammen: "Das ist der schönste Tag meines Lebens."

18 endlose Tage hatten die Demonstranten auf diese Nachricht gewartet, die Vizepräsident Omar Suleiman im Fernsehen verlas. Mehr als 300 Menschen sind in dieser Zeit durch Polizeikugeln, Tränengasgranaten oder Messerstiche gestorben, mindestens 5000 wurden durch staatliche Schläger verletzt. Dann, am Freitagabend kurz nach 18 Uhr, versinkt das Epizentrum des Volksaufstandes in ein jubelndes Fahnenmeer. Kein Millimeter Platz ist mehr frei in diesem historischen Augenblick. Zehntausende stauen sich zurück auf den Nilbrücken. Aus allen Himmelsrichtungen hört man Autos hupend durch die Stadt rasen. Lächelnd schauen die Soldaten von ihren Panzern herab auf das ausgelassene Treiben.

18 Tage Nervenkrieg

Bis zum letzten Atemzug - so hat Hosni Mubarak stets gesagt - wolle er Präsident Ägyptens bleiben. Nie hat er sich träumen lassen, dass ihn sein eigenes Volk mit einem Massenaufstand davonjagen würde. 18 Tage dauerten Machtkampf und Nervenkrieg zwischen dem alten Potentaten und der Millionenschar seiner jungen Untertanen. 18 Tage lang gingen Tag für Tag Hunderttausende auf die Straße und skandierten "Hau ab, Mubarak", "Stellt Mubarak vor Gericht" und am Ende sogar "Hängt Mubarak auf". Eine Million Urlauber verließ Hals über Kopf das Land, Tausende Kriminelle ließ das Regime aus den Gefängnissen laufen, damit sie nachts die eigene Bevölkerung terrorisierten. Doch zum ersten Mal in der Geschichte Ägyptens ließen sich die Menschen nicht mehr einschüchtern.

Sie hatten die Nase voll von Polizeischlägern und Folterern, von der Armut vieler und der Selbstbereicherung weniger, von Arbeitslosigkeit, Korruption und täglicher Willkür. 18 Tage klammerte sich der 82-Jährige noch an seinen Thron, am Abend zuvor hatte er sein Volk noch einmal eine Viertelstunde lang mit langatmigen Beteuerungen und Ermahnungen, mit nebulösen Versprechungen und starrköpfigen Vorwürfen provoziert. Mehrfach drohte er seinen Untertanen mit Chaos und Anarchie, wenn er die Macht vorzeitig aus der Hand geben müsse. Doch dann gab er auf - unter dem Druck seines Volkes und dem Druck der Generäle, die ihren ehemaligen Kameraden am Ende nicht mehr stützen wollten.

Fast drei Jahrzehnte hatte Mubarak alle Fäden am Nil in der Hand gehalten - als unangefochtener Patriarch der Nation. Mehr als die Hälfte der 80 Millionen Ägypter kennen nur ihn als Oberhaupt. Länger regiert am Nil haben während der vergangenen 5000 Jahre nur der antike Pharao Ramses II. und Mohammed Ali Pasha Anfang des 19. Jahrhunderts, der als Begründer des modernen Ägyptens gilt.

Misstrauen gegen Islamisten

Als islamische Extremisten am 6. Oktober 1981 seinen Vorgänger Anwar as-Sadat bei einer Militärparade erschossen, stand Vize Mubarak direkt neben ihm auf der Ehrentribüne. Zeitlebens hinterließ diese Mordtat bei ihm tiefes Misstrauen gegenüber allen islamistischen Kräften. Der Ex-General war dabei kein charismatischer Volkstribun wie Abdel Nasser und kein schillernder Medienstar wie Sadat. Am liebsten inszenierte er sich als gesuchter Gesprächspartner auf internationalem Parkett, bei dem sich die Welt in Kairo oder Sharm el Sheikh die Klinke in die Hand gibt. Nun ist die Residenz am Roten Meer zu Mubaraks letzter Zufluchtsstätte geworden. Die Muslimbruderschaft hat den Rücktritt als "Sieg des ägyptischen Volkes" lebhaft begrüßt. "Das Hauptziel der Revolution ist erreicht worden", sagte deren Vertreter Mohamed al Katatni.

Nun steht offenbar das Militär an der Spitze des Staates. Der Oberste Militärrat versichert, die Regierung nicht dauerhaft übernehmen zu wollen. Das Oberkommando werde den Willen des Volkes erfüllen, sagte ein Sprecher und kündigte eine Erklärung an, wie die Übergangszeit gestalten werde. Den Streitkräften sei das Ausmaß der Forderungen nach radikalem Wandel bewusst. Dazu gebe es keine Alternative.

Bei aller Unklarheit können es die Menschen auf dem Tahrir-Platz dennoch nicht fassen. Sie haben Mubaraks Regime besiegt, das eine Generation lang unbesiegbar erschien. Manche aber ahnen bereits, dass die Bewährungsprobe für Ägypten jetzt erst richtig beginnt.