Plötzlich kracht ein Schuss. Schreie und Trillerpfeifen hallen durch die nächtlichen Straßen im Kairoer Stadtteil Dokki. Aus allen Ecken sieht man dunkle Gestalten angerannt kommen. Im Handumdrehen ist das verdächtige Auto von fast hundert Männern umzingelt - Schlachtermesser blitzen im Schein der Laternen, ein kräftiger Kerl hält die Insassen mit seiner doppelläufigen Schrotflinte in Schach, während andere drohend ihre langen Stöcke in Bereitschaft halten.

Als sich im Kofferraum zwei Schnellfeuergewehre und einige Pistolen finden, werden die beiden Insassen unter martialischem Geschrei herausgezerrt und erst einmal durchprügelt. Ihre Ausweise verraten, dass sie der ägyptischen Geheimpolizei angehören. Triumphierend zieht ein ganzer Tross der Bürgerwehren dann vor das Tor der nahen Nasser-Militärakademie und übergibt die Gefangenen an die Armee, die hier einen Arrestraum hat.

Seit dem Wochenende sind die Abende und Nächte in Kairo nicht mehr Zeiten für entspannte Einkaufsbummel oder gemütliche Brettspiele im Teehaus. Mit Einbruch der Dunkelheit verwandeln sich Kairos Straßen in gespenstische und ungemütliche Orte. An allen Straßenecken brennen offene Feuer und vertreten sich Männer mit Pistolen, Peitschen und Holzprügeln fröstelnd die Beine. Gelegentlich sieht man auch Säbel aus der Königszeit oder sogar Golfschläger.

Alles, was Plündererautos irgendwie aufhalten kann, ist zu improvisierten Straßensperren aufgetürmt - Steinbrocken, Palmenstämme, Müllcontainer, lange Leitern und sogar ein umgekipptes Wachhaus der Polizei. An einer Hauswand stehen ein halbes Dutzend Molotow-Cocktails bereit. Seit vier Nächten schon sorgen spontan gebildete Bürgerwehren für Sicherheit in den Wohnvierteln, selbst Polizeiautos müssen sich von den Anwohnern kontrollieren lassen. "Wir schützen unsere Familien und unser Eigentum", sagt ein junger Anwalt, der tagsüber eigentlich bei Nestle arbeiten müsste. Er hält ein Walkie-Talkie in der Hand, an seiner weißen Armbinde ist er als einer der nächtlichen Koordinatoren zu erkennen.

Die Oppositionsbewegung gegen Präsident Mubarak ist nicht nur eine politische Protestbewegung, sie zeigt auch ein erstaunliches bürgerschaftliches Engagement. Freiwillige Helfer kontrollierten in den letzten Tagen die Mitdemonstranten auf Waffen, andere sammelten den Müll zusammen, wieder andere verteilten Brot und Orangen. "Wir lieben unser Land, das ist unser Land", sagen sie. Der Aufstand gegen den Diktator hat gleichzeitig einen Bürgersinn zutage gebracht, von dem die Menschen selbst überrascht zu sein scheinen. "Ich kannte hier in der Nachbarschaft vorher niemanden", sagt einer, der normalerweise in einer Bank arbeitet. "Aber jetzt halten wir alle zusammen."