Das Ringen zwischen dem starrsinnigen Diktator und seinem Volk geht in die wohl letzte Runde. Seit den frühen Morgenstunden waren die Menschen aus allen Himmelsrichtungen auf den Tahrir-Platz geströmt. "Noch ein letzter Stoß, und er ist weg", skandieren sie. Schon vor Sonnenaufgang haben sie sich zu Fuß auf den Weg gemacht - Frauen, jung und alt, verschleiert und unverschleiert, Herren im Nadelstreifanzug und Männer in Bauarbeiterkluft sowie viele Kinder, die diesen Tag an der Hand ihrer Eltern miterleben wollen. Bereits zu Mittag ist der Platz gerammelt voll, die gesamte Innenstadt Kairos quillt über von den Massen. "Ich bin erst sieben Monate alt und ersticke schon", hat Samil Agouz auf sein Plakat geschrieben, während Ehefrau Sara den kleinen Yussef in ihren Armen wiegt. 13-mal hat der 45-jährige Chemiker im Gefängnis gesessen - "heute ist unser Feiertag, heute befreien wir unser Land", sagt er. "Wenn er seine Haut noch retten will, sollte Mubarak jetzt verschwinden", ließ Gegenspieler Mohamed el Baradei ausrichten und setzte dem 82-Jährigen ein Ultimatum bis spätestens Freitag. An einem der Ampelmaste auf dem Tahrir-Platz baumelt eine Mubarak-Puppe.

Vor genau einer Woche hatte hier alles als "Tag des Zorns" begonnen. Letzten Dienstag waren es nur zehntausend, jetzt sind es fast zwei Millionen. Damals hatten sie Angst vor der berüchtigten schwarzen Sonderpolizei, heute sind die Prügelbrigaden mit ihren Tränengasgranaten verschwunden und Menschen campieren nachts friedlich auf den Grünflächen wie bei einem Pop-Konzert. Einzig das Militär kontrolliert ruhig und freundlich die Zugänge auf den Platz zusammen mit den Ordnern der Volksbewegung.

Nicht schießen

Am Abend zuvor hatte Ismail Etman, Sprecher der Armee, im staatlichen TV den Ton gesetzt. Die Anliegen des "großen ägyptischen Volkes" seien legitim, die Armee werde nicht auf die Menschen schießen, erklärte er. Kurz danach antwortete das bedrängte Regime durch den neuen Vizepräsidenten Omar Suleiman. Man werde "umgehend" den Dialog mit allen politischen Gruppen suchen und Reformen einleiten, verkündete der Geheimdienstchef. "Bevor Mubarak nicht weg ist, gibt es nichts zu verhandeln", ließ ihn die Oppositionsbewegung in einer zweizeiligen Erklärung abblitzen.

Seitdem scheinen innerhalb der Staatsmacht die Fronten geklärt. Die Armee ist nicht bereit, das Regime durch Gewehrkugeln zu retten. Sie versteht sich allein als Bollwerk gegen Chaos und Anarchie. Mit der aufmüpfigen Bevölkerung aber fertigwerden, das müssen aus Sicht der Generäle Mubarak und seine Getreuen - sei es durch politische Zugeständnisse, sei es durch Reformen oder durch zivile Schikanen. So wurde gestern der gesamte Zugverkehr im Land stillgelegt, bei Internet und SMS ist Ägypten seit Tagen total von der Außenwelt abgeschnitten. Polizei und Militär sind angewiesen, an den Überlandstraßen die Busse Richtung Befreiungsplatz aufzuhalten. Das Stadtzentrum ist weiträumig für Autos gesperrt.

Unruhestifter

Mitglieder der Staatssicherheit in Zivil haben offenbar den Auftrag, sich unter Demonstranten zu mischen und für Unruhe zu sorgen. Am Morgen nahmen Ordner der Volksbewegung in einer kleinen Moschee nahe dem Platz eine junge, voll verschleierte Frau fest, die ein langes Messer bei sich hatte. Zwei kräftige Typen zerrten mit den Worten "Du hast hier nichts zu suchen" einen schmalen Mann Richtung Ausgang. An allen Eingängen werden die Ausweise kontrolliert, denn bei Polizisten und Geheimpolizisten ist ihr Beruf im Personalausweis vermerkt. Zu Mittag warnte die Militärführung die Menge über Lautsprecher, es seien falsche Soldaten in gestohlenen Uniformen unterwegs.

Noch ist unklar, wie es weitergeht, weil die Organisatoren der Proteste ein Blutbad befürchten. Laut UNO sind schon 300 Menschen bei den Unruhen ums Leben gekommen. Einige Demonstranten haben sich gestern bereits in weiße Leichentücher gehüllt.

Siehe auch Seiten 64/65