Wie aus ägyptischen Sicherheitskreisen verlautete, hatten Demonstranten versucht, eine Polizeiwache in der Stadt Beni Sueif etwa 140 Kilometer von der Hauptstadt entfernt anzugreifen.

Damit starben nach Angaben von Ärzten und Sicherheitsbeamten seit Beginn der Proteste gegen Präsident Hosni Mubarak vor fünf Tagen mindestens 92 Menschen.

Angst vor Plünderern

Tagelang hat Hosni Mubarak geschwiegen - vermutlich wollte er auch diese Krise einfach "aussitzen". Mittlerweile ist aber der Druck der Straße so groß geworden, dass sich der Präsident doch gezwungen sah zu handeln. Am Samstag besetzte er das seit 1981 vakante Amt des Vize-Präsidenten. Das Signal ist dennoch fatal, denn mit Omar Suleiman ernannte er einen Mann, der all das verkörpert, wogegen die Massen demonstrieren. Suleiman war rund 20 Jahre Chef des verhassten Geheimdienstes Mukhabarat und er ist mit 75 Jahren ein Vertreter jener Generation, die die jungen Ägypter nicht mehr an der Macht haben will.

Mit Luftfahrtminister Ahmed Shafiq (70) hat Mubarak auch einen neuen Ministerpräsidenten ernannt, was bedeuten könnte, dass sein Sohn Gamal, der bislang als Kronprinz galt, ins politische Abseits geraten sein könnte.

Offenbar hat Mubarak gehofft, mit der Regierungsumbildung eine Beruhigung der Lage herbeizuführen. Aber selbst von den USA, einem seit Jahren treuen Verbündeten, wird der Schritt als nicht ausreichend kritisiert. "Die ägyptische Regierung kann nicht einfach die Karten neu mischen und dann stillstehen", erklärte ein Sprecher des US-Außenministeriums.

Bedrohte Kultur

Inzwischen manövrieren Panzer mit röhrenden Motoren vor dem Ägyptischen Museum. Im Garten zwischen Ramses-Statuen, pharaonischen Reliefs und Tempelsäulen patrouillieren Elitesoldaten mit modernen Schnellfeuergewehren. Auf dem Dach hocken Scharfschützen. Im Inneren des Kuppelgebäudes halten sie Polizisten gefangen, die am Abend zuvor versucht haben, die wertvollen Vitrinen zu plündern. Auch sind bislang unbekannte Täter in das Museum eingedrungen und haben zwei Mumien geköpft.

Noch immer wabert bedrohlich dicker, schwarzer Rauch aus der benachbarten Zentrale von Mubaraks Regierungspartei über diesem Juwel ägyptischer Geschichte, wo unter anderem die Goldmaske des Tutanchamun ausgestellt ist. Die Gefahr für das weltberühmte Touristenziel ist noch nicht gebannt, auch wenn mittlerweile Militärs das Gebäude vor Vandalen schützen. Denn wenn die seit Freitagabend brennende Parteizentrale mit ihren zwölf Stockwerken einstürzt, würde sie auch das Museum schwer beschädigen.

Seit Tagen schon zeigen Fernsehsender Bilder aus Ägypten, wie sie die Welt noch nie aus diesem sonnigen und freundlichen Touristenland gesehen hat. Auf den Nilbrücken, an einigen Straßenkreuzungen nahe dem Tahrir-Platz, kurven die Autofahrer den ganzen Samstag hupend und fluchend um die ausgebrannten Mannschaftswagen der Sonderpolizei herum. Die verkohlten Iveco-Kästen mit ihren vier Gitterfenstern auf beiden Seiten sind für die Menschen der Inbegriff der staatlichen Unterdrückung. In ihnen werden die Prügelpolizisten zum Einsatz hingefahren und mit ihnen gefangene Demonstranten weggefahren.

Auch am Samstag haben sich wieder Tausende Menschen auf dem "Platz der Befreiung" versammelt, während andere aus eigener Initiative das Schlachtfeld der vorangegangenen Nacht aufräumen.

Proteste in Algerien

Ahmed Issaid ist Arzt und hat kohlrabenschwarze Hände. Mit einem Besen fegt er auf der Meret-Straße Scherben und Asche zusammen. "Wir lieben unser Land, wir sind stolz auf unser Land, wir wollen es nicht zerstören", sagt er. "Aber wir wollen nicht mehr so weiterleben wie bisher". Eine Gruppe junger Helfer schleppt volle Plastiksäcke mit Müll davon. Andere schieben die Trümmer einer flachen Straßenmauer zusammen, aus der sich Demonstranten in der Nacht zuvor ihre Wurfgeschosse herausgebrochen hatten.

Die schreckliche Bilanz der letzten beiden Tage: mehr als 100 Tote und weit über tausend Verletzte gibt es im ganzen Land. Egypt Air hat alle Flüge eingestellt, erste Staaten beginnen, ihre Touristen vom Nil zurückzuholen. Die Schnellzüge zwischen Kairo und Alexandria verkehren nicht mehr, nachdem sich Menschen an den Schienen zu schaffen gemacht haben. Selbst durch Luxor mit seinen prächtigen Tempelruinen und Königsgräbern kreisen seit Samstag früh die Panzer. In Rafah auf dem Sinai sprengte die Menge den Sitz der verhassten Staatssicherheit in die Luft. Im ganzen Land gingen 60 Polizeistationen in Flammen auf, 17 davon allein in Kairo. Und fast überall ließen die Plünderer Waffen und Munition aus den Depots mitgehen. In Kairo wurden nach Angaben von Al Jazeerah sogar alle Verbrecher des Abu Zaabal Gefängnisses freigelassen, die jetzt in den besseren Vierteln der Metropole auf Tour sind.

Im Zentrum haben die Besitzer ihre Läden mit schweren Eisentoren verriegelt, triumphierend ziehen zwei Männer vorbei mit einem Dutzend geraubter Plastikbesen auf den Schultern.

Auf der Einkaufsstraße Gamit Ad-Dawal im wohlhabenden Mohandessin, wo viele westliche Marken ihre Filialen haben, sind die Plünderungen in vollem Gange. Banden aus den Armenvororten schleppen davon, was sie tragen können - Computer, Büro-stühle, Satellitenreceiver und Haushaltsgeräte.

Der Flächenbrand scheint sich auszubreiten. Denn gestern haben Tausende Menschen in der algerischen Küstenstadt Bejaia gegen ihre Regierung protestiert.