Tunesiens Revolution ließ politisch die Erde beben. Inzwischen erreichen die Schockwellen die anderen arabischen Regime. Noch nie in der modernen Geschichte hat ein arabisches Volk aus eigener Kraft seinen Diktator davongejagt. So bangen jetzt auch die anderen Langzeit-Potentaten um die Macht. In Tunesien campieren empörte Bürger vor dem Amtssitz des Interim-Regierungschefs, in Algier tobten Straßenschlachten und in den Städten Ägyptens skandierten erneut Zehntausende: "Weg mit Mubarak" und: "Tunesien, Tunesien".

Ließ die Polizei am Dienstag, am "Tag des Zorns", in Kairo die Menge noch einige Stunden gewähren, wurde nach Mitternacht der zentrale Tahrir-Platz bereits mit extremer Brutalität geräumt. Am Mittwoch früh gab Innenminister Habib al-Adly die übliche harte Linie aus: Wer weiter protestiert, wird verhaftet und vor Gericht gestellt. 860 Demonstranten wurden daraufhin festgenommen. Die Polizei setzte Schlagstöcke und Tränengas ein.

Doch so leicht lassen sich die Menschen nicht mehr einschüchtern. Am Nachmittag machten sich wieder Hunderte auf den Weg, zum zweiten "Tag des Zorns". "Dieses Land gehört uns allen", riefen sie, wie 1989 in der DDR die Demonstranten "Wir sind das Volk". Doch bis dahin ist der Weg noch lang. Denn die ägyptische Polizei ist berüchtigt für ihre Brutalität, die Opposition berühmt für ihre Zerstrittenheit. Die Parteien sind schwach und desorganisiert. Die Regierungspartei von Präsident Hosni Mubarak übermächtig und allgegenwärtig. Einzig die Muslimbruderschaft bildet ein nennenswertes Gegengewicht zum Regime. Doch ihre Mitglieder halten sich in der Regel abseits, wenn zivilgesellschaftliche Gruppen zu Protesten aufrufen.

Tunesien ist kein Vorbild

Tunesiens Revolution ist aber kein Exportmodell - das jedenfalls denkt die politische Klasse Ägyptens. Sie sehen Mubarak fest im Sattel. Jede Gesellschaft habe ihre eigenen Umstände, argumentierte Außenminister Ahmed Abul Gheit und nannte die Parallele beider Länder "baren Unsinn" und "Fantasterei". "Wir können doch nicht sagen, eine Gesellschaft ist gescheitert und unfähig, wenn es gleichzeitig 60 Millionen Handybesitzer gibt", polterte er. Doch ausgerechnet diese digitale Revolution hat die Proteste erst möglich gemacht - in Tunesien wie auch in Ägypten. In beiden Staaten konnten sich die Menschen bisher nur im virtuellen Netz versammeln. Und in beiden Ländern haben sie ihre elektronische Verbundenheit schließlich umgemünzt in Protestaktionen auf der Straße.

Anders als in Tunesien steht das ägyptische Militär loyal zu Mubarak. Die Offiziere fühlen sich als Elite der Nation und als Rückgrat der Macht. Sie sind entschlossen einzugreifen, falls die Polizei mit den Protesten der Bevölkerung nicht mehr fertig wird.

Tunesiens Oberkommandierender Rachid Ammar dagegen zwang am Ende Präsident Ben Ali zur Flucht. Seine Armee gilt als politisch neutral und vergleichsweise gut ausgebildet. "Das Militär wird die Revolution beschützen", sagte Ammar. Er hatte sich geweigert, seine Soldaten auf die Bevölkerung schießen zu lassen, und entscheidend zum Sturz des Diktators beigetragen.

Im Unterschied zu Tunesien bietet Ägypten einige Ventile mehr für den Frust in der Bevölkerung. So hat sich seit einigen Jahren eine private Zeitungslandschaft etabliert, die das Regime kritisch kommentiert. Auch im Umgang mit der Muslimbruderschaft fuhr das Regime einen weniger brachialen Kurs als Tunesiens Ben Ali. In Ägypten sind die Islamisten offiziell als Partei verboten, waren aber in den letzten fünf Jahren im Parlament vertreten. Erst bei den letzten Wahlen im November ließ der alte Langzeit-Pharao seine frommen Widersacher komplett aus dem Parlament entfernen, um die Machtlandschaft für seine Thronfolge im September zu planieren.