In der Via del Plebiscito sitzt eine junge Frau auf ihrem Klappsessel und wartet vor einem Palazzo, in den dauernd angespannt wirkende Männer in dunklen Anzügen hineinlaufen. Talia De Mare hat eine Botschaft bei sich, die sie im Wallfahrtsort Santuario di Gimigliano empfangen haben soll: Die Muttergottes habe dort mitgeteilt, dass Silvio Berlusconi aus der heutigen Vertrauensabstimmung als Sieger herausgehen werde.

Wäre man nicht in den Wissensvorsprung der Madonna eingeweiht, müsste man sagen, dass Italien einen spannenden Tag vor sich hat: Der Premier muss sich im Parlament einem Misstrauensantrag stellen. Geht der Antrag durch, muss der Staatspräsident entscheiden, ob Berlusconi oder jemand anderes mit den bestehenden Mehrheiten eine neue Regierung bilden kann, sonst gibt es Neuwahlen.

Das Ergebnis wird höchst knapp ausfallen, weshalb Berlusconi so schmachvoll um die Stimmen einzelner Abgeordneter buhlen muss, wie sein Lieblingsfeind Romano Prodi zwischen 2006 und 2008. Trotzdem: Berlusconi gab sich bei seiner Regierungserklärung gestern siegesgewiss. Doch was ist Propaganda, was Realität?

Auch wenn Berlusconi selbst seit 16 Jahren einer ist, er hat Politiker eigentlich immer verachtet. Aber nie dürfte seine Abneigung so groß sein wie in diesen Tagen. Denn sollte seine Regierung stürzen, läge dies nicht an den Wählern, die ihm 2008 eine triumphale Mehrheit geschenkt hatten. Nein, es sind die "Parteifreunde", die sich im Juli losgesagt und eine eigene Partei gegründet haben.

Seither hat Berlusconi keine sichere Mehrheit mehr im Parlament. Die Rolle des Judas hat dabei Parlamentspräsident Gianfranco Fini, den man 16 Jahre lang vor allem Arm in Arm mit Berlusconi sah und der den Misstrauensantrag unterstützt.

So unterhaltsam es ist zu beobachten, wie sich das rechte Lager ordnet, so ermüdend ist es doch, wie sich die öffentliche Debatte seit 16 Jahren auf Berlusconi fixiert - das reale Italien ist längst ein anderes: Vor allem eines, in dem junge, gut ausgebildete Leute ihrer Heimat den Rücken kehren, aus Frustration darüber, dass nur der Beschäftigungsmöglichkeiten hat, der über einen Vater, Politiker oder Gewährsmann verfügt, der das ermöglicht. "Es ist nicht Berlusconi", meint ein junger Römer, "es ändert sich nichts, wenn Berlusconi geht." Er habe das Vertrauen in die Politik grundsätzlich verloren.

Feilschen um jede Stimme

Trotz Madonna vertraut Berlusconi jedoch eher auf irdische Mittel, um seine Mehrheit zu retten. Im Abgeordnetenhaus findet bis zur Abstimmung das statt, was die Zeitungen in Anlehnung an den Fußball "Transfermarkt" nennen: Nur, dass hier zwei Konkurrenten um Abgeordnete buhlen. 314 Stimmen braucht Berlusconi. 310 hat er sicher, genauso viel die Opposition. Fünf Abgeordnete der Mitte sind noch unentschlossen, drei Abgeordnete hochschwanger. Inzwischen suchen Berlusconis Emissäre "Umkipper", die ins Regierungslager wechseln.

Domenico Scilipoti haben sie schon gefunden: Er ließ sich für die Anti-Berlusconi-Partei "Italien der Werte" wählen, hat aber angekündigt, für Berlusconi zu stimmen. Der "Corriere della Sera" poltert, es sei eine "nie da gewesene Schwelle des Schams erreicht worden". Scilipoti hat sich damit gerechtfertigt, in der Euro-Krise brauche Italien Stabilität und könne sich keine Neuwahlen leisten.