Griechenland wird mit dem wachsenden Strom illegaler Flüchtlinge über die türkisch-griechische Grenze nicht mehr fertig und hat die EU um Hilfe gebeten. Nachdem die griechische Regierung die schnelle Eingreiftruppe der EU-Grenzschutzagentur Frontex angefordert hatte, regierten mehrere EU-Staaten auf die dramatische Situation. Der österreichische Verfassungsgerichtshof etwa hob am Mittwoch die Abschiebung einer Asylwerberin aus Afghanistan nach Griechenland wegen der verheerenden Situation in den griechischen Lagern auf.

Die EU-Grenzschützer überwachen bereits die Meerengen in der Ostägäis. Sie haben den Strom der Flüchtlinge über das Meer zu den Inseln Lesbos, Chios und Samos stark reduziert - mit der Folge, dass immer mehr Schutzsuchende jetzt über die türkisch-griechische Landgrenze kommen.

Griechenland ist insbesondere für Flüchtlinge aus Afghanistan, dem Irak, Iran und Somalia das zentrale Tor nach Europa. Reisen sie dann weiter in ein anderes europäisches Land, droht ihnen wegen der europäischen Asylzuständigkeitsregelung - der sogenannten Dublin-II-Verordnung - die Rücküberstellung nach Griechenland.

Das Land ist damit völlig überfordert. Allein 2009 kamen offiziellen Statistiken zufolge 146.000 sogenannte Illegale. Jeder Zehnte in dem Ägäis-Staat lebende Mensch ist ein Nicht-EU-Ausländer.

Die Flüchtlinge treffen auf chaotische Zustände. Das Asylsystem ist nach Überzeugung von Menschenrechtsorganisationen völlig zusammengebrochen. Athen gewährt kaum Asyl, die Anerkennungsquote liegt unter einem Prozent. Die Abgelehnten bekommen ein Papier, indem es heißt: "Sie haben einen Monat Zeit, das Land zu verlassen." Wie und wohin, wissen die wenigsten. Die Folgen für die Gestrandeten: Rechtlosigkeit, Gefahr der Inhaftierung, Obdachlosigkeit und Hunger.

Aufgrund des Mangels an Übersetzern und Informationen von den Beamten vor Ort erfahren die meisten Flüchtlinge nichts über ihre Rechte. Sie wissen daher nicht einmal, was auf dem Papier steht, das man sie unterschreiben lässt. Im besten Fall erklärt man ihnen was der Abschiebebescheid bedeutet, nämlich "freiwillige" Ausreise.

Anstatt "willkommen" hört man in Griechenland als erstes "Malakas" (Arschloch). Demzufolge ist "Malakas" auch das erste Wort, das Flüchtlinge in Griechenland lernen und es ist symbolisch für das Gefühl des Nichtwillkommenseins. Nach ihrer Freilassung zieht es viele Flüchtlinge von den Grenzen ins Zentrum nach Athen. Dort befinden sich Hilfseinrichtungen und von dort aus geht es in diverse Lager.

In den wenigen Aufnahmelagern ist die Situation chaotisch. In den westgriechischen Häfen von Patras und Igoumenitsa und in der Stadt Alexandroupolis nahe der Grenze zur Türkei leben Hunderte Menschen in Elendsbaracken. In Athen haben sich Ghettos gebildet, in denen Tausende verzweifelte Menschen hausen. Sie müssen betteln, um zu überleben. Einige griffen jetzt zu drastischen Mitteln. Sie traten in einen Hungerstreik und nähten sich dafür den Mund zu!

Rassistische Gewalt

Im Stadtteil Agios Panteleimon kommt es seit Monaten zu Zwischenfällen rassistischer Gewalt. "Hier ist ein Gewächshaus für rechtsextremistische Gewalt", sagt der Journalist Dimitris Trimis. Eine Caritas-Mitarbeiterin in Athen warnt: "Die Zahl der Migranten ohne Perspektive ist mittlerweile kritisch geworden. Wenn noch mehr kommen, könnte es zur Explosion kommen."

Der Priester Stelios, dessen Kirche im Stadtteil Patissia täglich Flüchtlingen ein Mittagessen bietet, sagt: "Ich habe langsam Angst." Rechtsextremisten haben bereits gedroht, er könnte "ums Leben kommen", wenn er weiter Migranten helfe.

In dieser dramatischen Situation richten sich die Blicke auf den Nachbarn Türkei. Denn auch die von Athen angeforderten EU-Grenzschützer werden den Strom von Flüchtlingen, die über türkisches Territorium nach Westeuropa kommen, nicht bewältigen können. Ein Rückübernahme-Abkommen, mit dem sich Ankara verpflichtet, Flüchtlinge wieder aufzunehmen, ist zwar so gut wie fertig, da es die EU zur Voraussetzung für Erleichterungen für die Türken in der Visafrage erklärt hat. Doch die Türkei zögert. Sie befürchtet, dass die EU auch nach Unterzeichnung des Abkommens die Visumspflicht nicht lockern wird.

Hinter dem Streit stecken auch finanzielle Differenzen. Experten schätzen die Kosten für Wiederaufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen aus Westeuropa in die Türkei auf 1,2 Milliarden Euro pro Jahr. Die EU will aber nur mit 70 Millionen Euro helfen.