Bald werden vier von sechs Ministern der SPÖ führende (Ex-)Gewerkschafter sein. Rudolf Hundstorfer war Jugendreferent der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten Wien von 1975 bis 1983, um nachher bis 1989 ebenda leitender Organisationsreferent zu sein. In derselben Gewerkschaft agierte er als Vorsitzender bis 2003. Vizepräsident und späterer Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) war Hundstorfer von 2003 bis 2008.

Die designierte Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser fungierte bis 2010 bei Hundstorfer als Gewerkschaftsteil in der Personalgruppe für Ärzte. Hinzu kamen Tätigkeiten als Vorsitzende einer Arbeitsgemeinschaft von 2003 bis 2010. Vizepräsidentin des ÖGB wurde sie 2009, dessen Frauenvorsitzende 2013.

Der künftige Verkehrsminister wiederum, Alois Stöger, war Vorsitzender der Gewerkschaftsjugend von 1982 bis 1986. Es folgten 22 Jahre als Bezirkssekretär der Metallergewerkschaft. Verteidigungsminister Gerald Klug war Sekretär der Gewerkschaft proge für Metall, Textil, Chemie & Co seit 1990.

Gescheiterter Versuch

Die Zweidrittelmehrheit der SPÖ-Minister sind also klassische Gewerkschaftsfunktionäre. Was nichts Schlimmes ist. Hundstorfer etwa hat nach dem Bawag-Skandal und Rücktritt seines präsidialen Vorgängers Fritz Verzetnitsch das Schiff in ruhige Gewässer geführt. Doch war damals, nachdem durch Spekulationen Mitgliedsbeiträge inklusive des Streikfonds im karibischen Sand versenkt wurden, eine Ballung von Gewerkschaftern in Machtpositionen undenkbar.

Heute erscheint der ÖGB - trotz sinkender Mitgliederzahlen von fast 1,8 auf knapp 1,2 Millionen - mächtiger denn je. Alfred Gusenbauer ist mit dem Versuch einer Ämtertrennung, dass führende SPÖ-Gewerkschafter kein Nationalratsmandat haben, gescheitert. Zu den Ministern kommt Wolfgang Katzian als Vertrauter des Bundeskanzlers, neben seinem Sitz im Parlament auch Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten. Ihn flankieren mit dem steirischen Bau- und Holzgewerkschafter Josef Muchitsch beginnend viele SPÖ-Abgeordnete ähnlichen Hintergrunds.

In der ÖVP sind Bauern- und Wirtschaftsbund oft besser organisiert, doch am Arbeiter- und Angestelltenbund ÖAAB mit dem früheren Chef Michael Spindelegger und der jetzigen Frontfrau Johanna Mikl-Leitner geht kein Weg vorbei. An der Allianz schwarzer Lehrergewerkschafter mit Fritz Neugebauer sind fast alle reformfreudigen Unterrichtsminister zerbrochen. Was sich bei Neugebauers Nachfolgern nicht ändert.

Frage der Vereinbarkeit

Obwohl laut APA/OGM-Vertrauensindex dem ÖGB rund je 40 Prozent ver- und misstrauen - ein im Institutionenvergleich mittelmäßiger Wert, der Rest hat keine Meinung -, stehen Gewerkschaften in ihrer Bedeutung außer Streit. Es ist objektiv so, dass Gewerkschaften Forderungen von Arbeitnehmern zusammenfassen, artikulieren und umzusetzen versuchen. Der Einzelne hätte da null Chance, ob es nun um Löhne oder Dienstzeiten geht.

Es wäre im Sinn des sozialen Ausgleichs und der Gerechtigkeit abzulehnen, wenn die Politik vor allem Unternehmerinteressen widerspiegelt. Sogar Verfechter des freien Wettbewerbs müssen zugeben, dass dieser keine unsichtbare Hand als Regulativ bis hin zu einer fairen Arbeitswelt enthält. Daher brauchen wir Gewerkschafter.

Die Frage ist, inwiefern deren natürlich interessengeleitetes Denken mit staatspolitischen Ämtern vereinbar ist. Wenn im Funktionsablauf einer Demokratie Gewerkschaften ihre Interessen durchsetzen, so wollen sie bei Gesetzen und Verordnungen ihre Vorstellungen des Regelinhalts verwirklichen. Da machen Parteien nichts anderes.

Der große Unterschied in der theoretischen Politikwissenschaft ist, dass Parteien die Interessenumsetzung erreichen, wenn sie Teil der Regierung werden. Im Gegensatz zur SPÖ oder ÖVP darf das der Verein ÖGB nicht. Im Umkehrschluss sollte der ÖGB die Politik von Regierung und Parlament bloß von außen beeinflussen.

Das Gegenargument sieht so aus: Interessen, die nicht zugleich von Parteien vertreten werden, haben weniger Chancen, realisiert zu werden. Warum also sollte die Gewerkschaft ihre Funktionäre nicht im Nationalrat und als Minister wollen? Die enge Verbindung von SPÖ und ÖGB bis hin zu Doppelfunktionen im Nationalrat und den Landtagen ist da verständlich.

Interessenskonflikt

Victor Adler (1852-1918), Begründer der SPÖ bzw. der seinerzeitigen ÖSP, sprach von siamesischen Zwillingen. Gusenbauer verwies auf Defizite des Vergleichs, weil im Trennungsfall oft ein Zwilling stirbt. Nach der skizzierten Logik aber müssen Gewerkschaftsfunktionäre politische Ämter anstreben.

Der Haken ist, Regierungsparteien sind für das Staatsganze verantwortlich. ÖGB-Vertreter haben den Auftrag von Mitgliederinteressen ihrer (Teil-)Gewerkschaft. Da ist eine Schere im Kopf von Regierungs-, Partei- und Gewerkschaftsrolle klar. Daher dürften Gewerkschafter durchaus Volksvertreter sein, doch müssten alle Parteien den Klubzwang aufheben.

Erst dieser bedingt bei ÖGB-lern als Abgeordnete unlösbare Interessenkonflikte. Weniger die doppelte Funktion ist das Problem, sondern die vorgegebene Fraktionsdisziplin, als Gewerkschafter mit der Parteilinie zu stimmen. Es geht nicht nur darum, ob Werner Faymann ohne gewerkschaftliche Hausmacht in seiner Partei überlebensfähig ist. Genauso wichtig ist, inwieweit umgekehrt Gewerkschafter sich von der Partei lösen können.