Politiker haben einen Vertrauensgrad von unter zehn Prozent. Genau deshalb sollte niemand durch allgemeines Schimpfen über Parteien allzu billig nach schenkelklopfendem Beifall heischen. Das Pauschalurteil, im politischen System seien alle bescheuert, schadet der Demokratie.

Zudem lebt Demokratie von der Entscheidung des Bürgers für die aus seiner Sicht beste Partei. Wird das kleinstmögliche Übel gewählt, ist es bis zum Nachdenken über "gemäßigte Diktaturen" - so Extremsportler Felix Baumgartner, nachdem er in der dünnen Höhenluft war - ein kleiner Schritt.

Versuchen wir daher bei jeder Partei zu erklären, warum sie wählbar ist. Für die Neos etwa stimmten 230.000 Österreicher. Es fällt auf, dass sie in der Nationalrats- und EU-Wahl fast punktgenau gleich viele Stimmen bekamen. Nicht exakt von denselben Leuten, doch gibt es Ex-LIF- und enttäuschte ÖVP-Wähler plus Abwanderer von den Grünen, die zum rosa Stammpublikum werden können.

Warum? Der Wahlforschung nach entstehen Parteien entlang von gesellschaftlichen Trennlinien. Historische Beispiele sind das Gegenüber von Arbeiter- und Unternehmerparteien oder eine Bauernpartei im Interessenkonflikt von Stadt und Land. Hier muss ein städtischer Kleinunternehmer geradezu für Parteichef Matthias Strolz & Co sein. Gründungen sollen ja einfacher, Lohnnebenkosten gesenkt und Firmensteuern abgeschafft werden. In der Landwirtschaft lösen Strolz' Kürzungsvorschläge weniger Begeisterung aus.

Die Konflikttheorie stammt von Seymour Martin Lipset und Stein Rokkan, die ihr Standardwerk "Parteisysteme und Wählerbindungen" 1967 verfassten. Inzwischen gibt es auch neue Reibungsflächen, entlang derer Neos-Wähler motivierbar sind. Die Auseinandersetzungen "neu" gegen "alt" sowie "sauber" kontra "schmutzig" sind sowieso ein Heimspiel in Rosarot. Egal, wie viele Skandalfälle bis hin zur Korruption eine Traditionspartei aufweist, bei den neugeborenen Neos sind es naturgemäß weniger.

Pensionsfrage

Ein "Wir sind neu und jung!"-Image freilich verliert täglich an Wirkungskraft. Wichtiger ist für die Neos als Langzeitstrategie der schwelende Konflikt junger Berufstätiger mit den Pensionisten. Weil die Geburtenrate gesunken ist und wir älter als früher werden, müssen im Generationenvertrag weniger Junge für viele Alte steigende Steuergelder aufbringen.

Was man rechnerisch dagegen tun kann, steht im Neos-Programm: eine nach der Lebenserwartung statistisch fixe Erhöhung des Pensionsantrittsalters, höhere Abschläge für den Ruhegenuss vor dem 65. Lebensjahr und eine Gleitzeitrente bis zum 72. Geburtstag. Hinzu kommen als Tabubruch mehr ausländische Arbeitskräfte als Pensionsbeitragszahler.

Wer nicht glaubt, dass staatliche Pensionen in Zukunft ausreichen - laut der Studie Jugendmonitor denken bis zu drei Viertel der Jungwähler so -, wird den Neos zustimmen. Die Umfragezahlen sind so, dass sie bei den unter 30-Jährigen 15 bis 20 Prozent der Stimmen erreichen.

Was unter Teenagern und Twens Gleichstand mit der SPÖ und ÖVP bedeutet und für beide Geschlechter gilt. Nur ist weniger als ein Fünftel der Wähler unter 30, fast ein Drittel über 60 Jahre. Dass die Neos beim Pensionsthema nicht aus wahltaktischen Gründen herumeiern, ist für Junge ein Argument, sie zu wählen.

Es gibt allerdings Themen, wo Neos-Politiker wirr wirken. Im Kirche-gegen-Staat-Konflikt von konservativ-katholischen und liberalen Kräften geistert Ex-Religionssprecher Niko Alm in den Medien mit einem Nudelsieb auf dem Kopf als Vertreter des "Pastafarianismus" - seiner Fantasiekirche des "fliegenden Spaghettimonsters" - herum. Neue Parteien müssen sich vor Selbstdarstellern schützen.

Denn ihren Wählern wichtiger ist die Frage, was alles von Wirtschaft bis Verwaltung öffentlich oder privat sein soll. Neos haben bei den Selbstständigen und höheren Angestellten ein zweistelliges Stimmenpotenzial, weil sie den Staatseinfluss zurückdrängen wollen. Nicht als Privatisierung des Wassers. Hier ist Spitzenkandidatin Angelika Mlinar im EU-Wahlkampf naiv in die Falle geplumpst.

Regieren als Ziel

Sind jedoch Koralm- und Brennertunnel ein vergleichbar unersetzbares Gut? Ist es unanständig, auf das eigene Leistungsvermögen im freien Wettbewerb zu vertrauen? Darf man nicht trotz Solidarität das Ausmaß der staatlichen Umverteilung als zu weit links und für "Leistungsträger" demotivierend empfinden? Können nicht Neos-Sympathisanten die Treffsicherheit von Sozialleistungen bezweifeln, ohne als Unmenschen zu gelten? Ist es unmöglich, 10 Prozent aller Förderungen und Subventionen einzusparen?

All das wird im Parteiprogramm der Neos gefragt. Mit den Antworten der Regierung und auch der Grünen darauf sind Wähler der Neupartei - wovon als Bildungskluft viele Matura oder Universitätsabschluss haben - unzufrieden. Doch geht es nicht um Protest, man will echte Reformen. Dafür ist die Durchsetzungskraft einer Oppositionspartei enden wollend. Wenn aber die Neos es in Koalitionen schaffen, bleiben die Wähler ihnen treu. Peter Filzmaier ist Professor für Politische Kommunikation in Krems und Graz.