War es das richtige Zeichen, dass das offizielle Serbien, die Erste-Weltkriegsfeier in Sarajevo boykottiert und serbische Politiker den Attentäter Gavrilo Princip als Vorbild gefeiert haben?

ALFRED GUSENBAUER: Man kann von keinem Boykott sprechen. Wir sollten die Dinge einmal in Proportion sehen: Der neue serbische Premierminister Aleksandar Vucic hat aus bewussten Gründen seinen ersten Auslandsbesuch in Sarajevo gemacht, um klarzustellen, dass Serbien die territoriale Integrität von Bosnien-Herzegowina unterstützt und dass es daran keinen Zweifel gibt. Das war auch eine klare Absage an alle möglichen nationalen Separationsbewegungen. Die Veranstaltung in Sarajevo hat aber in vielerlei Hinsicht die Absichten und Hoffnungen der Leute nicht erfüllt.

Was meinen Sie damit?

GUSENBAUER: Von der Veranstaltung, die man ursprünglich plante, nämlich ganz Europa nach Sarajevo zu bringen, wo klarerweise die serbische Regierung auch vertreten gewesen wäre - davon war diese Gedenkfeier weit entfernt.

Das heißt, hätten mehr Regierungschefs Europas zugesagt, hätte Serbien an den Gedenkfeiern teilgenommen?

GUSENBAUER: Wenn das eine große europäische Veranstaltung gewesen wäre in einem größeren Kontext, wäre das auch in Belgrad anders bewertet worden. So war der Gesamtrahmen kein stimmiger.

Haben Sie als EU-Berater der serbischen Regierung dazu geraten, dieser Feier fern zu bleiben?

GUSENBAUER: Wir haben diese Frage nicht diskutiert. Ehrlicherweise hat diese Frage in Belgrad nicht die Prominenz gehabt, wie sie es bei einzelnen Journalisten in Österreich haben mag. Wie überhaupt diese Gedenkveranstaltung nicht die geplante gesamteuropäische Ausstrahlung hatte.

Clemens Hellsberg, Vorstand der Wiener Philharmoniker betonte, es handle sich bei dem Gedenkkonzert um ein "leidenschaftliches Plädoyer für die Versöhnung." Das Versöhnungssignal Serbiens blieb aus.

GUSENBAUER: Wir dürfen uns nicht immer so wichtig nehmen! Ich finde es toll, dass die Philharmoniker dort gespielt haben und dass Österreich versucht, aus seiner Geschichte zu lernen und Versöhnungssignale sendet. Die Leute am westlichen Balkan haben viele Probleme: die ökonomische Situation, die gigantischen Unwetterschäden. Serbien steht vor der großen Aufgabe, die Versöhnung, in dieser vor kurzer Zeit noch kriegserschütterter Region voranzubringen. Das wird nicht entschieden, ob man bei einem Konzert der Philharmoniker teilnimmt oder nicht. Serbiens Regierung hat im Dialog mit Pristina und mit dem Brüsseler Abkommen gezeigt, dass es versucht, die Schatten der Vergangenheit zu überwinden und sich auf den Weg Richtung europäische Integration zu bewegen - daran hat sich nichts geändert.

Welche Hürden muss Serbien auf dem Weg in die EU aus Ihrer Sicht noch bewältigen?

GUSENBAUER: Serbien steht vor vielen Reformherausforderungen: vor der Veränderung des Arbeitsgesetzes, vor Privatisierungen oder vor Reformen des Justizwesens und der Rechtsstaatlichkeit, um Serbien auf das Niveau eines entwickelten europäischen Rechtsstaates zu bringen. Die Reform-Agenda ist breit.

Sollte Geschichtsaufarbeitung nicht auch auf der Agenda stehen?

GUSENBAUER: Das ist eine Angelegenheit, die bleibt keinem Land erspart. Das findet früher oder später statt. Wir Österreicher sind die Letzten, die die Berechtigung haben, da Lehrmeister zu sein. Eine Aufarbeitung über das Jahr 1938 und alles, was danach passiert ist, war in Österreich 50 Jahre lang Tabuthema. Serbien steht derzeit aber vor anderen Prioritäten.