Der frühere chinesische Studentenführer Wang Dan warnt in einem Interview vor der möglichen Entwicklung eines faschistischen Chinas. Nur Druck durch das eigene Volk und andere Länder könnten heute Reformen bringen.

Wirtschaftlicher Wohlstand wird nach Ansicht des ehemaligen chinesischen Studentenführers Wang Dan in China nicht zwangsläufig zu einem freieren politischen System führen. "Die chinesische Regierung wird sich niemals ändern, wenn sich das Volk nicht erhebt", sagte der heute im Exil in Taipeh lebende Wang Dan in einem Interview der Nachrichtenagentur dpa zum Jahrestag der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung vom 4. Juni 1989 am Mittwoch.

Exil in Taiwan

Nur wenn ausreichend Druck durch soziale Bewegungen entstehe, könne die kommunistische Führung in Peking zu institutionellen Veränderungen bewegt werden. Der heute 45-Jährige, der einst auf Platz Eins der Liste der meistgesuchten Studentenführer stand und wegen seines politischen Engagements sieben Jahre in Haft saß, unterrichtet heute Geschichte an der Tsing Hua Universität in Taiwan.

"Es ist unwahrscheinlich, dass sich die Kommunistische Partei von innen heraus reformiert", sagte Wang Dan. Früher sei die Partei noch revolutionär gewesen und es habe reformerische Kräfte wie Parteichef Hu Yaobang und den 1989 gestürzten Zhao Ziyang gegeben. "Seit den 1990er Jahren ist die Partei zu einem Teil mächtiger Interessengruppen geworden. Die Regierung macht Geschäfte", sagte Wang Dan. "Unter diesen Umständen ist es schwer, sie zu reformieren."

Kritik am Westen

Der Ex-Studentenführer kritisierte westliche Regierungen, im Umgang mit China nur die Wirtschaft im Blick zu haben. Die Demokratisierung eines mächtigen Landes wie China sei wichtig für eine friedliche Entwicklung der Welt. Politiker müssten als Staatsmänner agieren und die Geschichte im Blick haben. "Sie sollten China drängen, sich politisch zu entwickeln und dem Frieden in der Welt Vorrang einräumen, ansonsten stockt der politische Status Chinas, während es sich militärisch und wirtschaftlich schnell entwickelt."

Auf diese Weise habe sich in der Geschichte schon Faschismus entwickelt, sagte Wang Dan und erinnerte an die Nazi-Vergangenheit in Deutschland und die kriegerische Aggression des kaiserlichen Japans. "Es ist so oft passiert, deswegen verstehe ich die Politiker nicht, warum sich nicht historisch denken oder warum sie darauf warten, dass es ein drittes Mal passiert", sagte Wang Dan. Gerade die Deutschen sollten aus der Geschichte des Zweiten Weltkrieges lernen.